Die Welt ohne uns
Waldinseln zusammenzudrängen, und andererseits, um Grasflächen für Weidetiere wie die Bisons zu schaffen.
Später, als sich die aus Europa eingeschleppten Krankheiten mit rasender Geschwindigkeit über den Kontinent ausbreiteten und die Indianer fast ausrotteten, nahm die Bisonpopulation zu und eroberte neue Gebiete. Fast hatte sie schon Florida erreicht, als die westwärts drängenden Siedler auf sie stießen. Nachdem nahezu alle Bisons ausgerottet waren – bis auf die wenigen, die man als Schauobjekte verschonte –, nahmen die weißen Siedler jene Ebenen in Besitz, welche die Vorfahren der Indianer geschaffen hatten, und füllten sie mit ihrem Vieh.
Von seinem Labor auf der Hügelkuppe blickt Paul Martin auf eine Wüstenstadt hinab, die an einem Fluss entstand, dem Santa Cruz, der von Mexiko aus nach Norden floss. Einst weideten Kamele, Tapire, einheimische Pferde und kolumbianische Mammute in den grünen Flussniederungen. Als die Nachkommen jener Menschen, die diese Tiere ausgerottet hatten, hier siedelten, bauten sie Hütten aus Lehm und den Zweigen der am Flussufer wachsenden Pappeln und Weiden: Baumaterialien, die rasch wieder vom Boden und dem Fluss aufgenommen wurden, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden.
Als das Wild knapp wurde, lernten die Menschen, wie man die Pflanzen anbaut, die sie bisher nur gesammelt hatten, und sie nannten das Dorf, das daraufhin entstand, Chuk Shon, »Fließendes Wasser«. Sie mischten die Spreu ihres Getreides mit Flussschlamm und formten aus diesem Stoff Ziegel, die sie zum Hausbau verwendeten, bis diese luftgetrockneten Lehmziegel nach dem Zweiten Weltkrieg durch Beton ersetzt wurden. Bald darauf lockte die Erfindung der Klimaanlage so viele Menschen in diese Gegend, dass der Fluss leergepumpt wurde. Also gruben die Bewohner Brunnen. Als diese austrockneten, gruben sie noch tiefer.
Am ausgetrockneten Flussbett des Santa Cruz zieht sich heute Tucsons Verwaltungszentrum hin, unter anderem eine Kongresshalle, deren überdimensioniertes Fundament aus Beton und Stahlträgern den Eindruck erweckt, es sei für die Ewigkeit erbaut worden. Doch die Touristen einer fernen Zukunft werden möglicherweise kaum erkennen können, wo es einst gestanden hat, weil der Santa Cruz River wieder anschwellen wird, wenn die letzten durstigen Menschen Tucson und die rasant gewachsene, hundert Kilometer südlich gelegene Stadt Nogales in der mexikanischen Grenzprovinz Sonora verlassen haben. Das Wetter wird tun, was es immer tut, und von Zeit zu Zeit wird der ausgetrocknete Fluss, an dessen Ufern einst Tuscon und Nogales lagen, wieder an seinem Schwemmgebiet arbeiten. Schlamm wird in die mittlerweile dachlose Kongresshalle von Tucson eindringen, bis sie gänzlich begraben ist.
Was für Tiere dann leben werden, ist ungewiss. Das Bison ist lange ausgestorben; in einer Welt ohne Menschen werden Rinder ohne die Cowboys, die Kojoten und Pumas verjagen, nicht lange überleben. Der Gabelbock – dieses kleine, flinke Pleistozänrelikt, die letzte amerikanische Antilope – kämpft in den Wüstenreservaten Sonoras, nicht weit von hier, ums Überleben. Ob genügend Exemplare übrig bleiben, um die Population aufzufüllen, bevor die Kojoten ihr den Garaus machen, ist fraglich, aber möglich.
6 Das afrikanische Paradox
Zum Glück sind in einer Welt nach dem Menschen nicht alle Großsäuger ausgestorben. Ein Museum von der Größe eines Kontinents hat noch eine prachtvolle Sammlung vorzuweisen: Afrika. Würden diese Tiere sich über den Planeten ausbreiten, nachdem wir ausgestorben sind? Könnten sie ersetzen, was wir andernorts vernichtet haben, oder könnten sie sich sogar zu Geschöpfen entwickeln, die den ausgestorbenen glichen?
Zunächst aber stellt sich die Frage, warum es dort noch Elefanten, Giraffen, Nashörner und Flusspferde gibt, da doch die Menschen ursprünglich aus Afrika kamen. Warum wurden sie nicht abgeschlachtet, wie 94 Prozent der großen australischen Tierarten, die meisten von ihnen Riesenbeuteltiere, oder all die Arten, welche die amerikanischen Paläontologen betrauern?
Olorgesailie, Ort jener altsteinzeitlichen Werkzeugfabrik, die Louis und Mary Leakey 1944 entdeckten, ist eine trockene gelbe Senke 70 Kilometer südwestlich von Nairobi im Ostafrikanischen Graben. Großenteils liegt sie unter dem weißen Kalkstaub von Kieselmehlablagerungen begraben, dem Stoff, aus dem Swimmingpool-Filter und Katzenstreu sind, den winzigen versteinerten Außenskeletten von
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