Die Welt ohne uns
Süßwasserplankton.
Die Leakeys erkannten, dass sich viele Male in der Vorgeschichte ein See in der Olorgesailie-Senke gebildet hatte, der in wasserreichen Zeiten auftrat und in Trockenperioden verschwand. Hier kamen die Tiere genauso ans Wasser wie die Hominiden, die sie mit selbstverfertigten Werkzeugen erlegten. Bis heute fortdauernde Grabungen belegen, dass das Seeufer in dem Zeitraum zwischen 992 000 und 493 000 vor unserer Zeit von frühen Menschen bewohnt wurde. Allerdings wurden keine unmittelbaren Hominidenüberreste gefunden, bis Archäologen vom Smithsonian Institute und den National Museums of Kenya im Jahr 2003 einen einzelnen kleinen Schädel entdeckten, wahrscheinlich von Homo erectus, einem direkten Vorfahren unserer eigenen Art.
Gefunden hat man indessen Tausende von Faustkeilen und Steinmessern, die jüngsten zum Werfen bestimmt – an dem einen Ende abgerundet und am anderen mit einer Spitze oder Doppelschneide versehen. Während Vormenschen wie der Australopithecus in der Olduvai-Schlucht einfach Steine aneinandergeschlagen hatten, bis einer splitterte, sind diese hier mit einer Technik behauen, die Stein für Stein wiederholt werden konnte. Hier sind sie in jeder Schicht anzutreffen, die Spuren menschlicher Besiedlung zeigt, woraus folgt, dass Menschen in der Region von Olorgesailie mindestens seit einer halben Million Jahren Wild jagten und erlegten.
Die überlieferte Geschichte von den zivilisatorischen Anfängen im Fruchtbaren Halbmond bis zum heutigen Tag umfasst kaum mehr als ein Hundertstel jener Zeit, die unsere Ahnen an diesem Fleck damit verbrachten, Pflanzen auszugraben und angeschärfte Steine auf Tiere zu schleudern. Es muss reichlich Beute gegeben haben für diese wachsende Population von Raubtieren mit erwachenden technischen Fähigkeiten. Olorgesailie ist übersät mit Oberschenkelknochen und Schienbeinen, die vielfach zertrümmert wurden, um an das Mark zu gelangen. Die Mengen an Steinwerkzeugen, von denen die eindrucksvollen Überreste eines Elefanten, Flusspferds oder einer ganzen Pavianhorde umgeben sind, lassen darauf schließen, dass sich die ganze Hominidensippe zusammenfand, um ihre Beute zu töten, zu zerlegen und zu verschlingen.
Dennoch: wie ist es möglich, dass der Mensch in weniger als tausend Jahren Amerikas vermutlich noch reichhaltigere Pleistozän-Megafauna vernichtete? In Afrika gab es doch mit Sicherheit mehr Menschen, und das über eine weit längere Zeit. Warum besitzt Afrika dann noch heute seine prachtvolle Großwildmenagerie? Die behauenen Basalt-, Obsidian- und Quarzitklingen zeigen, dass Hominiden seit einer Million Jahren sogar die dicke Haut eines Elefanten oder Nashorns durchschneiden können. Warum also sind Afrikas Großsäuger nicht ebenfalls ausgestorben?
Weil sich hier die Evolution von Menschen und Megafauna gemeinsam vollzog. Im Gegensatz zu den nichts Böses ahnenden amerikanischen, australischen, polynesischen und karibischen Pflanzenfressern, die keine Vorstellung davon hatten, wie gefährlich wir waren, als wir unerwartet eintrafen, hatten die afrikanischen Tiere die Möglichkeit, sich anzupassen, als sich unsere Zahl vergrößerte. Tiere, die sich mit ihren Fressfeinden entwickeln, lernen, sich vor ihnen in Acht zu nehmen, und bilden evolutionäre Strategien aus, ihnen zu entkommen. Angesichts so vieler hungriger Nachbarn lernte die afrikanische Fauna, dass der Zusammenschluss zu großen Herden es Fressfeinden erschwert, einzelne Tiere zu isolieren und zu reißen, und diese Herden die Gewähr bieten, dass immer einige Tiere nach Gefahren Ausschau halten können, während die anderen fressen. Das Zebra verwirrt mit Hilfe seiner Streifen Löwen, deren Blick sich in einer Fülle optischer Täuschungen verliert. Zebras, Weißschwanzgnus und Strauße haben auf offenen Savannen ein Dreierbündnis geschlossen, das die ausgezeichneten Ohren der ersten mit dem ausgeprägten Geruchssinn der zweiten und den scharfen Augen der dritten Art verbindet.
Würden diese Schutzmechanismen allerdings immer wirken, stürben die Fressfeinde natürlich aus. Stattdessen bildet sich ein Gleichgewicht heraus: In einem kurzen Sprint erwischt der Gepard die Gazelle, in einem längeren Wettlauf erweist sich die Gazelle als überlegen. Das ganze Kunststück besteht darin, so lange zu vermeiden, die Mahlzeit eines anderen Tieres zu werden, bis Nachwuchs aufgezogen ist, oder so viele Junge zu haben, dass stets einige zur Arterhaltung überleben werden. Infolgedessen
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