Die Welt ohne uns
reißen Fleischfresser wie Löwen oft die Kränkesten, Ältesten und Schwächsten. Das taten auch die frühen Menschen – oder machten sich, wie die Hyänen, die Sache noch einfacher: Sie begnügten sich mit dem Aas, das geschicktere Jäger zurückgelassen hatten.
Das Gleichgewicht geht allerdings verloren, wenn sich etwas verändert. Die rasante Entwicklung des Hominidengehirns brachte Erfindungen hervor, welche die Verteidigungsstrategien der Pflanzenfresser unterliefen: Dicht gedrängte Herden beispielsweise erhöhen die Chance, dass ein geschleuderter Faustkeil sein Ziel findet. Viele Arten, die in den Sedimenten von Olorgesailie gefunden wurden, sind heute ausgestorben, beispielsweise Rindergiraffen, Riesenpaviane, ein Elefant mit abwärts gebogenen Stoßzähnen und ein Flusspferd, das noch massiger ist als die heutige Art. Allerdings ist nicht klar, ob die Menschen deren Vernichtung bewirkt haben.
Immerhin geschah das mitten im Pleistozän, als siebzehn Eiszeiten und ihre Zwischeneiszeiten für ein ständiges Auf und Ab der Temperaturen sorgten und alles Land, das nicht dem Dauerfrost ausgesetzt war, abwechselnd durchnässten und austrockneten. Unter der wechselnden Last des Eises wurde die Erdkruste mal zusammengepresst und mal entlastet. Der Ostafrikanische Graben weitete sich und Vulkane waren aktiv, unter anderem einer, der in Abständen Asche auf Olorgesailie spie. Nachdem der Archäologe Rick Potts vom Smithsonian Institute zwanzig Jahre lang die Sedimente von Olorgesailie untersucht hatte, begann ihm zu dämmern, dass einige besonders widerstandsfähige Pflanzen- und Tierarten in der Regel die Zeiten klimatischer und geologischer Umbrüche überlebten.
Eine dieser Arten waren wir. Am Turkanasee, einem zu Kenia und Äthiopien gehörigen Riftsee, untersuchte Potts eine reiche Fundstätte mit Hinterlassenschaften unserer Vorfahren und erkannte, dass die ersten Arten von Homo jedes Mal, wenn Klima und Umweltverhältnisse verrückt spielten, die noch früheren Hominiden zahlenmäßig übertrafen und schließlich verdrängten. Anpassungsfähigkeit ist der Schlüssel zu evolutionärem Erfolg, das Aussterben der einen Art gibt den Weg frei für die andere. In Afrika entwickelte die Megafauna glücklicherweise im Zusammenleben mit uns ganz eigene, anpassungsfähige Formen.
Das ist auch für uns ein Glücksfall, denn wenn wir uns ein Bild davon machen wollen, wie die Welt vor uns war – um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sich die Welt nach uns entwickeln könnte –, so haben wir in Afrika die vollständigste lebende Genbank, bestückt mit ganzen Familien und Ordnungen von Tieren, die auf anderen Erdteilen zugrunde gingen. Einige stammen sogar von anderen Erdteilen: Wenn Touristen im offenen Schiebedach eines Safarijeeps stehen und auf der Fahrt durch die Serengeti die Ausmaße einer Zebraherde bestaunen, betrachten sie die Nachkommen einer amerikanischen Art, die sich über Landbrücken zwischen Asien, Grönland und Europa ausbreitete, auf ihrem Ursprungskontinent heute aber nicht mehr anzutreffen ist. (Das heißt, bis zu dem Zeitpunkt, da Kolumbus dort nach einer Pause von 12500 Jahren das Pferd wieder einführte; zuvor waren einige Pferdearten, die in Amerika lebten, wahrscheinlich ebenfalls gestreift gewesen.)
Wenn also die Tiere Afrikas im Zuge der Evolution gelernt haben, ihrem menschlichen Fressfeind zu entkommen, wie wird sich dann dieses Gleichgewicht nach dem Aussterben der Menschheit verändern? Sind einige Arten der afrikanischen Megafauna so an uns angepasst, dass eine unmerkliche Abhängigkeit oder sogar Symbiose mit unserem Untergang – in einer Welt ohne uns – verloren ginge?
Die kalten Hochmoore in den zentralkenianischen Aberdare-Bergen haben die Menschen zwar von einer Besiedlung abgeschreckt, nicht aber davon, in dieses Quellgebiet zu pilgern, aus dem vier Flüsse entspringen. Sie fließen in vier verschiedene Richtungen und bewässern das Land zu Füßen des Gebirges, wobei sie von Basaltüberhängen in tiefe Schluchten stürzen. Einer dieser Wasserfälle, der Gura, fällt in einem weiten Bogen 300 Meter durch die klare Bergluft, bevor er von Dunst und baumhohen Farnen verschlungen wird.
Im Land der Megafauna ist dieses Gebirgsmoor ein Reich der Megaflora. Von einigen Rosenholz Waldungen abgesehen, liegt das Gebiet über der Baumgrenze und erstreckt sich über einen langen Bergsattel zwischen zwei Viertausendern, die knapp unterhalb des Äquators teilweise die Ostwand
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