Die Welt ohne uns
Herrschaft der Bevölkerungsmehrheit führte – in Kenia uhuru genannt, Unabhängigkeit.
Heute sind die Aberdare-Berge ein Beispiel für jenen zerbrechlichen Vertrag, den die Menschheit mit dem Rest der Natur geschlossen hat und der unter der Bezeichnung Nationalpark geführt wird. Er ist eine Zuflucht für die seltenen Riesenwaldschweine und die kleinste Antilope – das hasengroße Moschusböckchen –, für Goldschwingen-Nektarvögel, Silberwangen-Hornvögel und Seidenturakos – scharlachfarben und unwirklich blau. Auch der schwarzweiße Mantelaffe lebt in diesem Urwald, der sich nach allen Richtungen hin die Hänge der Aberdare-Berge hinabzieht...
... bis er an einem elektrischen Zaun Halt macht. Zweihundert Kilometer verzinkter Draht, unter 6000 Volt Wechselspannung, umgeben heute Kenias größtes Wasserreservoir. Der elektrische Maschendrahtzaun, der Paviane, Grünmeerkatzen und Zibetkatzen fernhalten soll, ist nicht nur gut zwei Meter hoch, sondern auch noch etwa einen Meter tief in den Erdboden eingelassen. Wo er eine Straße überquert, lassen elektrisch geladene Torbögen Fahrzeuge durch, verhindern aber durch herabhängende stromführende Drähte, dass LKW-große Elefanten ihrem Beispiel folgen.
Der Zaun hat die Aufgabe, Tiere und Menschen voreinander zu schützen. Zu beiden Seiten finden wir Böden, die zu den besten Afrikas gehören – oberhalb des Zauns tragen sie den Regenwald, unterhalb Mais, Bohnen, Lauch, Kohl, Tabak und Tee. Jahrelang fanden die Übergriffe in beide Richtungen statt. Elefanten, Nashörner und Affen kamen bei Nacht und verwüsteten die Felder, während sich die wachsende Kikuyu-Bevölkerung höher in die Berge schlich und bei ihrem Vordringen dreihundert Jahre alte Zedern und Steineiben fällte. 2000 war fast ein Drittel des Aberdare-Gebirges abgeholzt. Irgendetwas musste geschehen, um die Bäume zu retten, damit genügend Wasser von den Wurzeln aufgenommen wurde, von den Blättern verdunstete und als Regen in die Flüsse der Aberdare-Berge zurückkehrte – jene Flüsse, die durstige Städte wie Nairobi versorgen –, damit die Turbinen der Wasserkraftwerke sich weiterhin drehten und die Riftseen nicht austrockneten.
Deshalb zog man den längsten Elektrozaun der Welt. Inzwischen aber hatte die Aberdare-Region längst andere Wasserprobleme. In den 1990er Jahren waren in ihren Randgebieten große Wassermengen entnommen worden, die arglos für Rosen und Nelken verbraucht wurden, mit dem Erfolg, dass Kenia Israel als Europas bedeutendsten Lieferanten von Schnittblumen ablöste. Heute stehen die Blumen noch vor dem Kaffee an erster Stelle der Exportgüter. Dieser blühende Wirtschaftszweig wird die Region allerdings möglicherweise auch dann noch belasten, wenn längst keine Blumenfreunde mehr existieren.
Eine Blume besteht wie der Mensch zu zwei Dritteln aus Wasser. Die Wassermenge, die ein durchschnittlicher Blumenexporteur jährlich nach Europa liefert, entspricht daher dem Jahresbedarf einer Stadt von 20000 Einwohnern. Während der Trockenzeit legen die Blumenfarmen mit festen Produktionsquoten Saugheber in den Naivashasee, ein papyrusbestandenes Schutzgebiet für Süßwasservögel und Flusspferde am Fuße des Aberdare-Gebirge. Mit dem Wasser saugen die Pumpen ganze Generationen von Fischeiern ab. Die Abwässer, die sie in den See zurückleiten, riechen nach den chemischen Restbeständen der Substanzen, die dafür sorgen, dass die Rosen auf ihrem langen Weg nach Paris makellos bleiben.
Der Naivashasee sieht allerdings nicht ganz so einladend aus. Phosphate und Nitrate, die von Blumentreibhäusern eingeleitet werden, haben dazu geführt, dass dichte Teppiche von Wasserhyazinthen auf der ganzen Oberfläche die Sauerstoffzufuhr unterbinden. Wenn der Wasserspiegel sinkt, kriecht die Wasserhyazinthe – ein mehrjähriges Gewächs aus Südamerika, das Afrika als Topfpflanze eroberte – an Land und drängt den Papyrus zurück. Die faulenden Kadaver der Flusspferde lüften das Geheimnis, das den prachtvollen Blumensträußen zugrunde liegt: DDT und, noch fünfmal giftiger, Dieldrin. Das sind Pestizide, die in den Ländern, die Kenia als weltgrößter Rosenexporteur beliefert, längst verboten sind. Wenn es Menschen, Tiere und Rosen schon lange nicht mehr gibt, wird das Dieldrin, eine extrem robuste synthetische Substanz, noch immer vorhanden sein.
Kein Zaun, noch nicht einmal einer, der mit 6000 Volt geladen ist, wird die Tiere der Aberdare-Berge auf Dauer zurückhalten
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