Die Welt ohne uns
baumlosen Ebenen werden, verdrängen Wüstentiere wie Gazellen und Oryxantilopen Tiere, die von Blättern und Zweigen leben, wie etwa Giraffen, Kudus und Buschböcke. Das ist eine vom Menschen geschaffene Wiederholung jener extremen Dürreperioden, von denen Afrika während der Eiszeiten heimgesucht wurde, als die Lebensräume schrumpften und die Tierwelt in Oasen zusammengedrängt wurde. Afrikas Megafauna überstand diese Engpässe, doch heute, da die Tiere auf Schutzinseln in einem Meer von Siedlungen, Landparzellen, verdorrten Weidegründen und Agrarfabriken gestrandet sind, fürchtet David Western um ihre Zukunft. Jahrtausendelang wurden sie von umherziehenden Menschen durch Afrika begleitet: Nomaden und ihre Herden nahmen sich, was sie brauchten, und ließen eine Natur zurück, die der afrikanischen Megafauna noch bessere Lebensbedingungen bot. Doch jetzt findet das Nomadendasein ein Ende. Homo sedentarius, der sesshafte Mensch, hat das Szenario von Grund auf verändert. Die Nahrung wandert jetzt zu uns, zusammen mit Luxus- und Konsumartikeln, die es in der Menschheitsgeschichte so bisher nicht gegeben hat.
Im Unterschied zu anderen Erdregionen blieb Afrika – von der Antarktis abgesehen, wo es niemals menschliche Siedlungen gab – als einziger Erdteil von einem größeren Massensterben seiner Tierwelt verschont. »Doch der intensivierte Ackerbau und die hohe Bevölkerungsdichte«, meint Western besorgt, »bedeuten, dass wir jetzt ein solches Ereignis erleben.« Das Gleichgewicht, das sich in Afrika zwischen den Menschen und den wild lebenden Tieren entwickelt hat, ist völlig außer Kontrolle geraten: zu viele Menschen, zu viele Rinder, zu viele Elefanten, die durch zu viele Wilderer auf zu engem Raum zusammengepfercht werden. Die Hoffnung, die David Western bleibt, ist das Wissen, dass ein Teil Afrikas noch immer ist, wie es war, bevor die Evolution die Menschen zu einer Schlüsselart machte, das heißt, zu einer Art, deren Vorhandensein über die Entwicklung des ganzen Lebensraums entschied und damit so einflussreich war, dass selbst die Elefanten sich nach ihr richten mussten.
In einer Welt ohne Menschen, so glaubt er, würde Afrika, die Wiege der Menschheit, paradoxerweise wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehren. Da es in Afrika so viel grasendes und äsendes Wild gibt, ist es der einzige Kontinent, auf dem exotische Pflanzen nicht aus den Gärten der Vorstädte entweichen konnten, um die ländlichen Regionen zu erobern. Allerdings würde Afrika einigen entscheidenden Veränderungen unterworfen sein, wenn die Menschen verschwänden.
Einst waren die nordafrikanischen Rinder wild. »Doch nach Jahrtausenden des Zusammenlebens mit den Menschen«, sagt Western, »haben sie einen Magen wie ein überdimensionierter Gärbottich entwickelt, der sie befähigt, tagsüber riesige Futtermengen zu sich zu nehmen, weil sie nachts nicht grasen können. Daher sind sie nicht sehr schnell zu Fuß. Sich selbst überlassen wären sie eine bequeme und leckere Fleischration für hungrige Raubtiere.«
Und eine reichliche dazu. Rinder stellen heute mehr als die Hälfte des Lebendgewichts in den Ökosystemen der afrikanischen Savanne. Ohne den Schutz der Massai-Speere wären sie ein Festmahl für Löwen und Hyänen. Sobald die Rinder ausgestorben wären, gäbe es doppelt so viel Futter für andere Grasfresser. Western berechnet, was die neuen Zahlen bedeuten würden. »Anderthalb Millionen Gnus können genauso viel Gras fressen wie Rinder. Es käme zu einer sehr viel engeren Interaktion zwischen Gnus und Elefanten. Sie würden die Rolle der Rinder übernehmen, von denen die Massai sagen: >Rinder lassen Bäume wachsen, Elefanten Gras.<«
Und zum Schicksal der Elefanten ohne Menschen: »Darwin schätzte, dass es zehn Millionen Elefanten in Afrika gab. Das entspricht ziemlich genau dem Bestand, den wir hier vor dem großen Elfenbeinhandel hatten.« Er wendet sich um und betrachtet die Herde weiblicher Tiere, die im Amboseli-Sumpf herumplanscht. »Im Augenblick haben wir eine halbe Million.«
Nach dem Verschwinden der Menschheit würden die Elefanten, zwanzigmal so zahlreich wie heute, zweifellos wieder zur unbestrittenen Schlüsselart der afrikanischen Patchwork-Landschaft werden. Im Gegensatz dazu gibt es in Nord- und Südamerika seit 13 000 Jahren mit Ausnahme von Insekten keine Tiere, die sich von Baumrinde und Büschen ernähren. Nach dem Aussterben der Mammute hätten sich riesige Wälder ausgebreitet,
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