Die Welt ohne uns
Herden vereinen, wie eine unaufhaltsame Flutwelle über die Grenze strömen und Flüsse voller Krokodile durchqueren, die schon hungrig auf diese jährliche Wanderung nach Norden warten, während Löwen und Leoparden auf den Stämmen von Schirmakazien dösen und nur einen Sprung machen müssen, um an ihre Beute zu kommen.
Die Serengeti war lange Zeit ein schwerer Stein des Anstoßes für die Massai: eine Fläche von einer halben Million Quadratkilometern, von der sie 1951 vertrieben wurden, damit dort nach völliger Entfernung der Schlüsselart Homo s apiens ein Vergnügungspark entstand, der den Hollywood-Touristen die Illusion einer ursprünglichen afrikanischen Wildnis verschaffte. Doch heute sind Massai-Zoologen wie Santian dankbar dafür: Die Serengeti, die sich mit ihren vulkanischen Böden ideal für Grasland eignet, ist eine Genbank mit der reichhaltigsten Konzentration von Säugetieren auf der Erde, die Quelle, aus der die Arten schöpfen könnten, um sich auszubreiten und wieder den ganzen Planeten zu bevölkern. Doch mag die Serengeti auch noch so groß sein, die Zoologen fragen sich trotzdem, wie sie all diese zahllosen Gazellen ernähren soll, von den Elefanten ganz zu schweigen, wenn das ganze Umland eines Tages aus Farmen und Zäunen besteht.
Es gibt nicht genügend Niederschläge, um die gesamte Savanne in Ackerland zu verwandeln, was die Massai jedoch nicht daran gehindert hat, sich munter zu vermehren. Partois ole Santian hat bislang nur eine Frau geheiratet und wollte es damit eigentlich auch genug sein lassen. Doch Noonkokwa, die Freundin aus Kindheitstagen, die er heiratete, nachdem er seine traditionelle Ausbildung zum Krieger beendet hatte, war entsetzt, als sie hörte, sie solle die einzige Frau in dieser Ehe bleiben und keine Gefährtinnen bekommen.
»Ich bin Zoologe«, erklärte er ihr. »Wenn alle Lebensräume für wild lebende Tiere verschwinden sollten, müsste ich Bauer werden.« Bevor die Parzellierung des Landes begann, war für die Massai der Ackerbau unter ihrer Würde, waren sie doch von Gott erwählt worden, Rinder zu züchten. Sie brachen noch nicht einmal die Grasnarbe auf, um jemanden zu beerdigen.
Noonkokwa versteht das. Trotzdem, sie ist eine Massai -Frau. So einigten sie sich auf zwei Ehefrauen. Noch immer aber will sie sechs Kinder haben. Er hofft, sie auf vier herunterhandeln zu können; die zweite Ehefrau wird natürlich auch welche wollen.
Nur eines, zu schrecklich, um es ernsthaft in Betracht zu ziehen, könnte diesen Fortpflanzungsprozess aufhalten, bevor alle Tiere ausgestorben sind. Koonyi, der alte Mann, spricht es selber aus: »Das Ende der Erde«, nennt er es. »Mit der Zeit wird Aids die Menschen auslöschen. Die Tiere werden sich alles zurückholen.«
Noch ist Aids für die Massai nicht der Albtraum, der es für die sesshaften Stämme geworden ist, doch nach Santians Auffassung könnte es bald so weit sein. Einst begnügten sich die Massai damit, mit ihren Rindern durch die Savanne zu ziehen, den Speer in der Hand. Heute gehen einige in die Stadt, schlafen mit Prostituierten und verbreiten nach ihrer Rückkehr Aids. Noch schlimmer sind die Lastwagenfahrer, die jetzt zweimal die Woche kommen, um Treibstoff für die Pickups, Motorroller und die Traktoren zu bringen, die sich die Massai-Farmer anschaffen. Sogar junge, nicht beschnittene Mädchen stecken sich an.
In Gebieten wie der Region am Viktoriasee, wohin die Tiere aus der Serengeti jährlich ziehen und wo keine Massai leben, sind die Kaffeepflanzer, die zu schwer an Aids erkrankt sind, um ihre Sträucher noch pflegen zu können, dazu übergegangen, Pflanzen wie Bananen anzubauen, die weniger Arbeit machen, oder Bäume zu fällen, um sie zu Holzkohle zu verarbeiten. Die wild wachsenden Kaffeebüsche sind jetzt viereinhalb Meter hoch und nicht mehr zu retten. Santian hat die Leute sagen hören, es sei ihnen alles egal, es gebe ja doch keine Heilung, daher verzichten sie noch nicht einmal darauf, Kinder in die Welt zu setzen. Die Waisenkinder haben keine Eltern, stattdessen das Virus, und in den Dörfern gibt es so gut wie keine Erwachsenen mehr.
Häuser, in denen niemand mehr lebt, verfallen. Häuser aus Schlamm und Zweigen mit Dungdächern sind eingesunken, sodass nur noch die halb fertigen Bauten aus Ziegeln und Zement stehen, welche die Händler mit dem Geld begonnen hatten, das sie als Lastwagenfahrer verdienten. Dann wurden sie krank und gaben ihr Geld für Kräuterheilkundige aus. Gesund wurde
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