Die Welt ohne uns
niemand und die Bauten wurden nicht fortgesetzt. Die Kräuterheilkundigen starben genauso wie die Händler, die Frauen und die Medizinmänner. Das Geld verschwand und alles, was bleibt, sind Häuser ohne Dächer, in denen Akazien wachsen, und infizierte Kinder, die sich verkaufen, um bis zu ihrem frühen Tod zu überleben.
Die Sonne wandert über die Serengeti und erfüllt den Himmel mit flirrendem Licht. Als sie hinter den Horizont taucht, senkt sich eine blaue Dämmerung auf die Savanne. Die letzte Wärme des Tages strömt den Hang des Kileleoni Hill hinauf und löst sich in der einbrechenden Dunkelheit auf. Der kühle Luftstrom, der folgt, trägt die Schreie der Paviane hinauf. Santian zieht sich seine rotgelbe Schottenshuka enger um die Schulter.
Könnte Aids die späte Rache der Tiere sein? Wenn ja, dann wären die Schimpansen, Pan troglodytes, unsere zentralafrikanischen Vettern, das Vehikel dieses Plans. Das menschliche Immunschwäche-Virus, das die meisten Menschen infiziert, ist eng verwandt mit einem Virusstamm, den Schimpansen in sich tragen, ohne krank zu werden. (Das weniger häufige HIV-II ähnelt einer Form, die bei den seltenen Mangaben, pavianähnlichen Affen, in Tansania anzutreffen ist.) Vermutlich hat die Infektion durch den Verzehr von Affenfleisch auf den Menschen übergegriffen. Als es auf unsere Gene traf, mutierte es todbringend.
Hat uns der Aufbruch in die Savanne biochemisch anfälliger gemacht? Santian kann alle Säugetiere, Vögel, Reptilien, Bäume, Spinnen, die meisten Blumen, sichtbaren Insekten und Heilpflanzen in diesem Ökosystem bestimmen, doch die feinen genetischen Unterschiede entziehen sich ihm – wie allen, die nach einem Aids-Impfstoff suchen. Die Antwort könnte in unserem Gehirn zu finden sein, denn im Hinblick auf die Gehirngröße unterscheiden sich die Menschen am deutlichsten von Schimpansen und Bonobos.
Erneut dringt Paviangezeter von unten herauf. Wahrscheinlich beschimpfen sie den Leoparden, der das Antilopenfleisch auf den Baum gebracht hat. Es ist interessant, wie Pavianmännchen, die um den Alpha-Status konkurrieren, einen befristeten Waffenstillstand schließen, bis sie gemeinsam einen Leoparden verjagt haben. Paviane haben nach Homo sapiens die größten Gehirne aller Primaten und sind die einzige andere Primatenart, der es gelang, sich an das Leben in den Savannen anzupassen, als der Lebensraum Wald schrumpfte.
Wenn das dominante Huftier der Savanne – das Rind – verschwindet, wird die Gnu-Population anwachsen und den Platz der Rinder einnehmen. Werden die Paviane uns ersetzen, wenn wir verschwinden? Hat sich ihr Schädelvolumen während des Holozäns nicht entfalten können, weil wir ihnen beim Sprung von den Bäumen in die Savanne zuvorgekommen sind?
Santian steht auf und streckt sich. Ein noch junger Mond über dem Äquator nähert sich dem Horizont, seine Spitzen weisen aufwärts, als wollten sie für die silbrig glänzende Venus eine Schale bilden. Das Kreuz des Südens, die Milchstraße und die Magellanschen Wolken nehmen ihre Plätze ein. Die Luft riecht nach Veilchen. Hier oben hört Santian die Rufe der Waldkäuze, wie einst in seiner Kindheit, bevor sich die Wälder um die bomas in Weizenfelder verwandelten. Werden die Paviane, wenn die Felder und Äcker der Menschen wieder zu einem Mosaik aus Wäldern und Grasland geworden sind, die Gelegenheit nutzen und uns als Schlüsselart ablösen?
7 Was zerfällt
Im Sommer 1976 bekam Allan Cavinder einen unerwarteten Anruf. Das Hotel Constantia in Varoscha sollte unter einem neuen Namen eröffnet werden, nachdem es fast zwei Jahre lang leer gestanden hatte. Es gebe eine Menge elektrischer Arbeiten zu erledigen – ob er Zeit habe?
Das kam überraschend. Varoscha, bis zur Inselteilung 1974 das wichtigste Fremdenverkehrszentrum an der Ostküste Zyperns, war seither Sperrgebiet. Seit dem Waffenstillstand zwischen den türkischen und griechischen Zyprioten, den die Vereinten Nationen ausgehandelt hatten, zieht sich ein Streifen Niemandsland, die sogenannte Grüne Linie, von West nach Ost durch die Insel und teilt sie in einen türkischen Teil im Norden und einen griechischen im Süden. In der Hauptstadt Nikosia verläuft sie im Zickzack durch die Straßen, wo bis heute an den Häusern die Spuren der Kämpfe sichtbar sind. Kaum drei Meter breit, erweitert sie sich auf dem Land zu einem Streifen von acht Kilometern Breite. Das von Blauhelmen kontrollierte Gebiet, inzwischen mit Unkraut
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