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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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vorübergehendes Grab, in dem die Toten aufbewahrt wurden, bis die Gefahr vorüber war. Egal in welcher Hand und unter dem Einfluss welcher Kultur sich Derinkuyu und die anderen Untergrundstädte auch befanden, ihre Einwohner kehrten stets an die Oberfläche zurück, um ihre Angehörigen in dem Boden zu bestatten, auf dem sie bei Sonne und Regen ihre Nahrung anbauten.
    Eines Tages, wenn wir schon lange verschwunden sind, werden diese unterirdischen Städte die Erinnerung an die Menschheit bewahren und ein letztes, wenn auch verborgenes Zeugnis davon ablegen, dass es uns einmal gab.
     

9    Von der Unvergänglichkeit der Polymere
     
    Die Hafenstadt Plymouth im Südwesten Englands zählt heute nicht mehr zu den malerischen Städten der Britischen Inseln, obwohl sie vor dem Zweiten Weltkrieg durchaus dazugehörte. Während des »Plymouth Blitz« – sechs Nächten im März und April 1941 – zerstörten die Bomben Nazi-Deutschlands 75000 Gebäude. Beim Wiederaufbau des Stadtzentrums wurden Plymouths verwinkelte Gassen aus Kopfsteinpflaster unter einem begradigten Straßennetz aus Beton begraben, sodass keine Erinnerung an die mittelalterliche Vergangenheit der Stadt geblieben ist.
    Doch der bedeutsamste Teil der Geschichte Plymouths ereignete sich ohnehin am Stadtrand, in dem Naturhafen, den zwei Flüsse – Plym und Tamar – durch ihren Zusammenfluss dort bilden, wo sie in Ärmelkanal und Atlantik münden. Das ist das Plymouth, von wo aus die Pilgerväter aufbrachen; ihre Kolonie in der Neuen Welt benannten sie zu Ehren dieser Stadt. Hier begannen alle drei Pazifikexpeditionen von James Cook ebenso wie Sir Francis Drakes Weltumseglung. Von Plymouth Harbour stach am 27. Dezember 1831 auch die Beagle in See, mit dem 22-jährigen Charles Darwin an Bord.
    In diesem geschichtsträchtigen Randbezirk der Stadt Plymouth ist der Meeresbiologe Richard Thompson häufig anzutreffen. Besonders im Winter, wenn die Strände am Sund leer sind, hält er sich viel hier auf – ein hochgewachsener Mann in Jeans, Gummistiefeln, blauer Windjacke und Fleecepullover, trotz kahlen Kopfes barhäuptig –, um mit bloßen Fingern den Sand zu untersuchen. Promoviert hat Thompson über die bevorzugte Nahrung von Weichtieren wie Nackt- und Strandschnecken: Kieselalgen, Zyanobakterien, Algen und winzige Pflanzen, die sich an Tang festsetzen. Einen Namen aber hat er sich weniger mit den Lebewesen im Meer gemacht als mit der wachsenden Zahl von Dingen im Meer, die nie lebendig waren.
    Schon als Studienanfänger in den achtziger Jahren begann er mit dem Projekt, das später zu seiner Lebensaufgabe werden sollte; damals organisierte er an Herbstwochenenden die Liverpooler Aktionen der landesweiten Strandsäuberungen. Im letzten Jahr sammelte er mit 170 Helfern den Müll tonnenweise auf einer Küstenstrecke von 140 Kilometern ein. Abgesehen von Gegenständen, die offenbar über Bord geworfen worden waren, etwa griechische Salzpackungen oder italienische Ölflaschen, war an den Etiketten zu erkennen, dass die meisten Abfälle von der Ostküste Irlands stammten. An Schwedens Küsten wiederum landete das Strandgut aus England. Jede Verpackung, die genügend Luft enthält, um aus dem Wasser herauszuragen, scheint den Winden zu gehorchen, die in diesen Breiten östlich wehen.
    Kleinere Objekte mit geringeren Angriffsflächen unterliegen offenbar dem Einfluss der Meeresströmungen. Bei der Zusammenstellung der Jahresberichte bemerkte Thompson unter den üblichen Flaschen und Autoreifen Jahr für Jahr eine kontinuierliche Zunahme kleinerer Müllteilchen. Zusammen mit einem anderen Studenten nahm er an ausgewählten Strandabschnitten Sandproben. Sie siebten die kleinsten Partikel aus, die ihnen unnatürlich erschienen, und versuchten sie unter einem Mikroskop zu bestimmen. Das erwies sich als schwierig: Ihre Untersuchungsobjekte waren meist zu klein, als dass man auf die Flaschen, Spielzeuge oder Haushaltsgeräte hätte schließen können, von denen sie stammten.
    Während seines Promotionsstudiums in Newcastle wirkte Thompson auch weiterhin an den jährlichen Strandsäuberungen mit. Als er promoviert hatte und seine Lehrtätigkeit in Plymouth aufnahm, erwarb sein Fachbereich ein Fourier-Transform-Infrarot-Spektrometer, ein Gerät, das einen Mikrostrahl durch eine Substanz schickt, um anschließend deren Absorptionsspektrum mit einer Datenbank von bekannten Materialien zu vergleichen. Jetzt konnte er erkennen, was er betrachtete, woraufhin sich seine Sorge

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