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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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er als seine Frau sich mit der japanischen Sprache, ja auch Dichtung, vertraut gemacht; an ihm sah ich wieder, daß jede Wissenschaft, auch die militärische, wenn großzügig erfaßt, notwendigerweise über das enge Fachgebiet hinausreichen und sich mit allen andern Wissenschaften berühren muß. Er arbeitete auf dem Schiff den ganzen Tag, verfolgte mit dem Feldstecher jede Einzelheit, schrieb Tagebücher oder Referate, studierte Lexika; selten habe ich ihn ohne ein Buch in Händen gesehen. Als genauer Beobachter wußte er gut darzustellen; ich lernte von ihm im Gespräch viel über das Rätsel des Ostens, und heimgekehrt, blieb ich dann mit der Familie Haushofer in freundschaftlicher Verbindung; wir wechselten Briefe und besuchten einander in Salzburg und München. Ein schweres Lungenleiden, das ihn ein Jahr in Davos oder Arosa festhielt, förderte durch die Abwesenheit vom
Militär seinen Übergang in die Wissenschaft; genesen, konnte er dann im Weltkrieg ein Kommando übernehmen. Ich dachte bei dem Niederbruch oft mit großer Sympathie an ihn; ich konnte mir denken, wie er, der jahrelang an dem Aufbau der deutschen Machtposition und vielleicht auch der Kriegsmaschine in seiner unsichtbaren Zurückgezogenheit mitgearbeitet hatte, gelitten haben muß, Japan, wo er viele Freunde erworben hatte, unter den siegreichen Gegnern zu sehen.
    Bald erwies es sich, daß er einer der ersten war, die systematisch und großzügig an einen Neuaufbau der deutschen Machtposition dachten. Er gab eine Zeitschrift für Geopolitik heraus, und, wie es so oft geht, verstand ich nicht den tieferen Sinn dieser neuen Bewegung in ihrem Beginn. Ich meinte redlich, daß es sich nur darum handle, das Spiel der Kräfte im Zusammenwirken der Nationen zu belauschen, und selbst das Wort vom »Lebensraum« der Völker, das er, glaube ich, als erster prägte, verstand ich im Sinne Spenglers nur als die relative, mit den Epochen wandelhafte Energie, die im zeitlichen Zyklus jede Nation einmal auslöst. Auch Haushofers Forderung, die individuellen Eigenschaften der Völker genauer zu studieren und einen ständigen Instruktionsapparat wissenschaftlicher Natur aufzubauen, schien mir durchaus richtig, da ich meinte, daß diese Untersuchung ausschließlich völkerannähernden Tendenzen zu dienen hätte; vielleicht – ich kann es nicht sagen – war auch wirklich Haushofers ursprüngliche Absicht keineswegs eine politische. Ich las jedenfalls seine Bücher (in denen er mich übrigens einmal zitierte) mit großem Interesse und ohne jeden Verdacht, ich hörte von allen Objektiven seine Vorlesungen als ungemein instruktiv rühmen, und niemand klagte ihn an, daß seine Ideen einer neuen Macht- und Aggressionspolitik dienen sollten und nur die alten großdeutschen Forderungen in neuer Form ideologisch zu motivieren bestimmt sei
en. Eines Tages aber, als ich in München gelegentlich seinen Namen erwähnte, sagte jemand im Ton der Selbstverständlichkeit: »Ach, der Freund Hitlers?« Ich konnte nicht mehr erstaunt sein, als ich es war. Denn erstens war Haushofers Frau durchaus nicht rassenrein, und seine (sehr begabten und sympathischen) Söhne vermögen den Nürnberger Judengesetzen keineswegs standzuhalten; außerdem sah ich keine direkten geistigen Bindungsmöglichkeiten zwischen einem hochkultivierten, universalisch denkenden Gelehrten und einem auf das Deutschtum in seinem engsten und brutalsten Sinn festgerannten, wüsten Agitator. Aber einer der Schüler Haushofers war Rudolf Heß gewesen, und er hatte die Verbindung zustande gebracht; Hitler, an sich fremden Ideen wenig zugänglich, besaß nun von Anfang an den Instinkt, sich alles anzueignen, was seinen persönlichen Zielen von Nutzen sein konnte; darum mündete und erschöpfte sich die ›Geopolitik‹ für ihn vollkommen in nationalsozialistischer Politik, und er machte sich so viel von ihr dienstbar, als seinen Zwecken dienen konnte. Immer war es ja die Technik des Nationalsozialismus, seine durchaus eindeutig egoistischen Machtinstinkte ideologisch und pseudomoralisch zu unterkellern, und mit diesem Begriff ›Lebensraum‹ war endlich für seinen nackten Aggressionswillen ein philosophisches Mäntelchen gegeben, ein durch seine vage Definitionsmöglichkeit unverfänglich scheinendes Schlagwort, das im Falle eines Erfolges jede Annexion, auch die willkürlichste, als ethische und ethnologische Notwendigkeit rechtfertigen konnte. So ist es mein alter Reisebekannter, der – ich weiß nicht, ob mit

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