Die Weltenspieler - Insignia I: Roman (German Edition)
eines Dienstags im Unterricht abspielte.
»Was Sie hier sehen, ist ein unglaubliches Programm.« Er spendete unechten Applaus und umschloss sein Publikum mit einem trügerisch trägen Blick. Nur die Intensität, die in seiner Stimme lag, verriet ihn, als er die Frage stellte: »Wer möchte den Ruhm für sich einheimsen? Nur keine falsche Scham.«
Tom merkte, dass Wyatt sich von dem milden Ton in seiner Stimme nicht täuschen ließ. Sie sank ein wenig tiefer in ihren Sitz. Heute war es nicht so einfach wie sonst, sich unsichtbar zu machen. Die Bankreihen vor ihr wirkten dünn besetzt, obwohl lediglich die zwölf Kombattanten der Camelot Company im Lafayette-Raum fehlten.
Tom hatte bereits beim Morgenappell über ihre Abwesenheit gerätselt. Dann wurden sie allesamt angepingt und über die Lage informiert. Die russisch-chinesischen Streitkräfte hatten einen Überraschungsangriff auf die indo-amerikanischen Werften in der Nähe des Neptun ausgeführt. Falls es ihnen gelingen würde, diese zu zerstören, wäre dies ein schwerer Rückschlag für Indo-Amerika. Es dauerte sehr lange, um Ausrüstung bis an den Rand des Sonnensystems zu transportieren, geschweige denn dort Schiffswerften aufzubauen, und diese Werften waren Teil des Zugangskorridors zum mineralreichen Kuipergürtel. Alle Mitglieder der CamCo waren ins Helix einberufen worden, den Bereich zwischen dem achten und neunten Stockwerk mit neuronalen Schnittstellen, von denen aus die Schiffe im All direkt gesteuert werden konnten. Während im Programmierkurs die Minuten zerrannen, wurde sich Tom mehr und mehr bewusst, dass im All eine entscheidende Schlacht abging und er keine Möglichkeit hatte zu erfahren, wer sie gewann.
Falls Blackburn Neuigkeiten von der jüngsten Schlacht erfahren hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Er war zu beschäftigt damit, die Codes von Wyatts Programm zu studieren und Karls Freunde, die Hühner, mit Fragen zu bombardieren.
»Wo stand der Hacker? Haben Sie eine Stimme vernommen? Was haben Sie getan, als Sie wieder zu sich kamen?«
Lyla Mortenson, die muskulöse Dschingisblondine, war es schließlich satt. »Ich sagte es Ihnen doch, Sir, wir wissen nicht, wer es war. Wir können Ihnen nicht helfen.«
Blackburns Lippen verzogen sich zu einem matten Lächeln. »Oh, Sie können mir sehr wohl helfen, Ms Mortenson. Wenn Sie keinen Namen für mich haben, dann denke ich mir etwas anderes aus, womit Sie mir heute helfen können.«
Was das bedeutete, wusste jeder: Es hieß, dass er sie für seine nächste Demonstration herauspickte.
Lyla bekam es mit der Angst zu tun. »Fragen Sie Tom Raines!«
O nein. Tom rutschte tiefer in seinen Sitz.
»Er war dabei. Er hat alles gesehen. Wahrscheinlich weiß er es!«
Blackburns Blick wanderte zu Tom herüber. »Ist das so, Mr Raines?«
»Nein, ich habe überhaupt nichts gesehen«, sagte Tom rasch.
»Aber Sie waren dort.«
»Ich war nicht …« Tom schaute erst Lyla und dann die anderen Dschingisse an. Sie würden alle gegen ihn aussagen. Er seufzte. »Ja, ich war da.«
»Und ich nehme an, Sie haben keinen Namen für mich.«
»Nein, Sir«, sagte Tom, wohl wissend, dass Blackburn ihn nicht damit davonkommen lassen würde – erst recht nicht, da alle zusahen.
»Prima, Raines. Sie dürfen dann heute mein Freiwilliger sein . Kommen Sie hoch zu mir .«
Tom salutierte zum Spaß gegenüber Vik und Beamer, stand auf und trottete den Mittelgang entlang. Sein Blick huschte zu dem Apparat, den Blackburn in den Unterricht mitgebracht hatte; es war ein großer Metallkasten, der wie eine auf dem Kopf stehende Klaue aussah. Er hoffte, die Sache würde nicht allzu scheußlich werden.
»Heute sprechen wir über Klondike«, verkündete Blackburn der Klasse. »Dabei meine ich nicht das Eis. Wie Zorten II ist auch Klondike eine neuronalprozessorspezifische Computersprache. Sie wird in zwei Bereichen verwendet. Zum einen unterstützt sie den Neuronalprozessor bei der Kommunikation mit Technologien im intrasolaren Arsenal. Zum anderen justiert sie das Gehirn auf bestimmte Arten, wie es Zorten II nicht vermag, vor allem wenn es um indizierte Erinnerungen geht.«
Tom stieg auf die Bühne.
Blackburn deutete mehrmals energisch mit dem Zeigefinger in Richtung des Bildschirms über der Bühne. »Konzentrieren Sie sich darauf, Raines.«
Während er sich dem Podium näherte, vernahm Tom leises Gekicher – die Leute erinnerten sich nach wie vor an die Unterrichtsstunde, in der er verliebt ins Podium gewesen war.
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