Die Weltenwanderer
verwaist, die Lichter an der Achterbahn erloschen. Lediglich aus dem Bierzelt drang noch Gegröle, und der alte Mann am Riesenrad brüllte unermüdlich: »Leeeeetzte Fahrt! Leeeeetzte Gelegenheit!«
Madam Fortuna starrte auf die Wohnwagentür, die sich gerade hinter einem Besucher geschlossen hatte. Ihre Hände auf der Glaskugel zitterten, ihr Puls raste. Sekundenlang war sie nur damit beschäftigt, ruhiger zu atmen. Doch immer wieder holte sie unwillkürlich im Schwall Luft, als stünde sie vorm Ertrinken. Sie waren entdeckt worden.
Von draußen erreichten sie Stimmen.
»Einen Blick in die Zukunft? Los, Lars, kurz vor der Hochzeit ist genau die richtige Zeit dafür!«
Jemand klopfte an die Tür. Albernes Gelächter begleitete das Klopfen.
Sie riss sich zusammen, sprang vom Stuhl und stürmte zur Tür. Schmerzhaft streifte ihre Hüfte die Kleidertruhe. Die Kugel polterte auf den Boden und rollte zwischen ihre Füße.
»Hallo! Madam Fortuna!«
Sie drehte den Schnappverschluss der Tür zu. Dabei rief sie: »Heute nicht mehr. Versuchen Sie es morgen!«
Während sie sprach, kickte sie die Schicksalskugel weg, zerrte ihre rote Langhaarperücke vom brünetten Pagenkopf und nestelte am Reißverschluss des Kleides. In Jeans und karierter Bluse entstieg sie dem grünen Tafthaufen. Sie wartete, bis die ärgerlichen Kunden sich verzogen hatten. Dann öffnete sie die Tür, spähte hinaus, sprang die wenigen Stufen nach unten und rannte quer über den Platz zum Bierzelt.
Es nieselte, Wind heulte zwischen Fahrgeschäften und Ständen. Pappbecher trudelten über den Boden, ihre Schuhe versanken im Matsch.
Vor dem Zelt wankte ihr ein Mann entgegen. »Suchs ... such ... scht ... mich … Schätze …” Er rülpste, während er die Arme ausbreitete. »Tschuldigung! Isch geb dir ...«
»Verzieh dich!« Ein tiefer Blick aus grünen Augen traf ihn.
Der Betrunkene taumelte rückwärts, als hätte sie ihm einen Stoß versetzt.
Er stolperte über eine Zeltverankerung. Mit einem Quatschen landete er auf dem Hintern. »Tschuldigung!«, bat er erneut.
Sie öffnet schon die Plane und schlüpfte ins Zelt. Glühweindunst schlug ihr entgegen. Die Band hatte die Bühne bereits verlassen, um sich am Tresen ein letztes Bier zu gönnen.
Von all dem nahm sie so wenig Notiz wie von der Kälte, die durch ihre Bluse drang. Sie reckte den Hals, wich einer Kellnerin mit leeren Bierkrügen aus, schob hier einen lallenden Mann zur Seite dort einen Stuhl. Es war Aufbruchstimmung, und es standen mehr Leute als saßen.
Endlich sah sie Erik.
Er hatte gerade bei einer gackernden Frauengruppe abkassiert, als sie ihn an der Schulter packte.
Erschrocken fuhr er herum und öffnete den Mund zum Protest.
Sie kam ihm zuvor. »Komm mit! Wir müssen weg.«
In seinen dunkelbraunen Augen spiegelte sich Verwirrung. »Was? Aber ...«
Ihre Stimme wurde eindringlich. »Das ist kein Scherz. Beeil dich!«
So ernst hatte er sie lang nicht mehr gesehen, doch früher schon. An überstürzte Abreisen konnte er sich noch erinnern. Daher nickte er. »Muss nur das Geld abliefern.«
»In Ordnung. Komm zum Wagen!« Bevor sie ihn losließ, mahnte sie: »So schnell du kannst.«
Er nickte erneut und kämpfte sich zur Theke durch.
Sie raffte im Wohnwagen persönliche Dinge zusammen und verstaute alles im Kofferraum oder auf der Rückbank des Uralt-Mercedes, der als Zugmaschine diente.
Immer wieder sah sie sich nach allen Seiten um.
Zwei Männer kamen geradewegs auf sie zu. Sie ließ sich hinterm Wagen auf die Knie fallen, spürte, wie Nässe ihre Hose durchdrang, fing Gesprächsfetzen über Fußball auf und schloss erleichtert die Augen.
Mit klammen Fingern kuppelte sie den Anhänger vom Wagen. Dabei ächzte sie vor Anstrengung, zuckte jedes Mal zusammen und sah hektisch um sich herum, wenn Metall quietschte.
Letzte Lichter auf dem Kirmesplatz erloschen, Nieselregen ging in Schneeregen über.
Sie setzte sich hinters Steuer und sah sich immer wieder nach Erik um. Jetzt bibberte sie trotz dicker Jacke vor Kälte, wagte jedoch nicht, den Motor anzulassen. Heftig rieb sie ihre Oberschenkel. Sie verrenkte sich fast den Hals, als sie dabei zwischen Kopfstütze und Schreibe hindurch spähte.
Dann sah sie ihn. Er hatte die Kapuze seines Sweatshirts weit über den Kopf gezogen, rannte auf den Wagen zu und ließ sich Sekunden später in den Beifahrersitz fallen.
»Endlich!« Madam Fortuna drehte sofort den Zündschlüssel und fuhr los.
Erik streifte die Kapuze vom
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