Die Weltgeschichte der Pflanzen
hinsichtlich ihrer Heilwirkung umfassend dar. Ein besonders schönes, kostbar illustriertes Exemplar aus dem Umfeld des byzantinischen Hofes aus der Zeit des Kaisers Justinian (fünftes oder sechstes Jahrhundert) befindet sich in der Wiener Nationalbibliothek, der berühmte Wiener Dioskurides .
Die Menschen in der Antike und im Mittelalter interessierten sich ausschließlich für die tatsächliche oder angenommene medizinische Wirkung, die »Kräfte« in den Pflanzen: ob sie Schmerzen lindern, Durchfall hervorrufen, Wehen befördern oder Harn treiben. Nur das stand im Mittelpunkt und dementsprechend »unsystematisch« wurden die Pflanzen in den Kräuterbüchern nach dem Vorbild von Dioskurides abgehandelt.
Für das Aussehen und die Gestalt der Pflanzen hatte man keinen Blick. Daher übersah man natürliche Ähnlichkeiten zwischen manchen Pflanzen, die auf eine Art von Zusammengehörigkeit deuteten. Im Übrigen folgte man, wie sonst im Mittelalter auch, dem überlieferten Buchwissen: Im Wesentlichen wurden die vorhandenen Bücher abgeschrieben und vom Katheder gelehrt, statt die Pflanzen selbst zu studieren.
Die humanistischen Renaissance-Gelehrten, die sich mit Botanik befassten, übten im 16. Jahrhundert wie andere Gelehrte, etwa die Astronomen, einen neuen Blick auf die Natur ein. Astronomen wie Kopernikus, Kepler und Galilei revolutionierten das geozentrische Weltbild. Botaniker wie Leonhart Fuchs schrieben New Kreüterbuch(er) , in denen sie eine wohlwollende Kritik am überlieferten Wissen der Antike übten – aufgrund besserer Erkenntnis. Grundlage dieser Erkenntnis waren natürliche Anschauung und exakte Beschreibung. Das brachte dann im 17. Jahrhundert Männer wie Magnol dazu, »Familienähnlichkeiten« zwischen Pflanzen darzulegen: der Anfang einer systematischen Betrachtung von Pflanzen und Tieren. Folgerichtig lautete der Titel von Linnés bahnbrechendem Werk im Jahr 1735 Systema Naturae .
King Cotton
Baumwolle
Unser tägliches frisch gewaschenes T-Shirt wollen wir nicht missen. »The White T« ist seit den Vierzigerjahren ein Modeklassiker schlechthin. Amerikanische GIs trugen es erstmals leger unter dem offenen Hemdkragen. Die Leinwand-Idole Marlon Brando und James Dean haben es als schlichtes, jungenhaft-männliches Kleidungsstück am wohlmodellierten Oberkörper durchgesetzt. Seit der Zeit der studentischen Jugendbewegung und des Flower Power trägt jeder Mensch T-Shirts; damals auch noch gerne in der Variante: selbstgefärbt. Giorgio Armani hat es in bester Schnitt- und Verarbeitungsqualität für die Haute Couture geadelt. Auch die moderne Frau trägt selbstverständlich T-Shirts. T-Shirts, Jeans und Khaki-Hosen aus Baumwolle sind die Kleidungsklassiker der modernen Welt.
Baumwolle macht heute 50 Prozent sämtlicher zu Textilien verarbeiteter Fasern aus. Andere Pflanzenfasern wie Leinen und Jute liefern weitere 15 Prozent, Kunstfasern 30 Prozent und tierische Fasern von Schaf, Kaschmirziege und Seidenraupe lediglich fünf Prozent.
Schon vor Tausenden von Jahren wurde Baumwolltuch in vielen Weltgegenden getragen, wenn auch nicht als T-Shirt. In der entsprechend alten Geschichte der Baumwollverarbeitung setzt die brisante Verquickung des Baumwollanbaus mit dem Sklavenproblem erst vergleichsweise spät ein, nämlich mit dem Plantagenanbau im amerikanischen Süden durch die Engländer im 18. Jahrhundert. Voraussetzung für den Baumwollboom seit 1800 waren mehrere technische Erfindungen in der Verarbeitung dieser Pflanzenfaser in den Vereinigten Staaten und in England, die direkt mitder Industriellen Revolution verknüpft sind. Anfang des 19. Jahrhunderts steckten in Baumwolltüchern der Schweiß und die Tränen von Millionen afrikanischer Sklaven und des Arbeiterproletariats in Manchester. Die Entwicklungen und Geschehnisse rund um den Baumwollanbau hatten weltgeschichtliche Auswirkungen wie bei kaum einer anderen Pflanze.
Nur im Deutschen und in den skandinavischen Sprachen heißt das Produkt von Gossypium »Baumwolle« – was ein wenig irreführend ist. Denn weder handelt es sich um Wolle, noch wächst sie auf Bäumen, sondern es handelt sich vielmehr um die Blüte eines Strauchs. Alle anderen Sprachen verwenden das aus dem Arabischen entlehnte qutun , das entweder auf ein altägyptisches oder ein altindisches Wort zurückgeht. Es ist fast gleichlautend in sehr vielen Sprachen der Welt verbreitet, englisch cotton , französisch coton , spanisch algodon , russisch kutnjá . Damit ist
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