Die Weltgeschichte der Pflanzen
Deswegen brauchte man immer »Nachschub«. So erklärt sich die hohe Zahl der in Mitleidenschaft gezogenen Menschen und die Härte des »Geschäfts«, das für sich selbst lukrativ war: Natürlich wurden die Sklaven in Afrika billig eingekauft und in Amerika teuer verkauft. Nicht nur wegen der harten Arbeit, auch aus sich heraus ist die Sklaverei nur von Härte gekennzeichnet. Da den Sklaven jegliche Eigenmotivation fehlte, arbeiteten sie nur »unter der Peitsche«. Auf die Idee, wie jeder europäische Bauer selbst Hand anzulegen und vielleicht mit angestellten Arbeitskräften und effizienteren Anbaumethoden gute Erträge zu erwirtschaften, kamen weder die Spanier noch die übrigen Europäer. Dasselbe Dilemma zeigte sich übrigens später bei der Baumwolle. Aber es war auch eine Mentalitätsfrage. Die Spanier, wenn sie sich in die Karibik wagten, wolltenmöglichst rasch zu Reichtum kommen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen.
Zuckerrohrernte und Zuckergewinnung sind ausgesprochen arbeitsintensiv, regelrechte Knochenarbeit. Die Pflanzenhalme können bis zu sieben Meter hoch werden. Bereits das Abschlagen mit der Machete ist schwer. Der Zucker sitzt im Mark des Rohrs und muss so schnell wie möglich noch auf der Plantage in Mühlen als Saft herausgepresst werden, da sonst der Zuckergehalt sinkt. Dann wird dieser eingedickt. Vor allem wegen der mühseligen Aufbereitung über großen Feuerstellen auf der Plantage arbeiteten die Sklaven in der Kolonialzeit während der Ernte rund um die Uhr.
Weil der Zuckeranteil im Zuckerrohr nur ungefähr 15 Prozent beträgt, muss sehr viel Zuckerrohr ausgepresst und ausgekocht werden, um den Wertstoff zu erhalten.
Das Raffinieren ist sowohl beim Rohrzucker wie beim Rübenzucker ein aufwendiger Prozess, bei dem im Prinzip der anfangs dunkelbraune Zuckerrohrsaft durch mehrmaliges Aufkochen und Filtern sowie allerlei technische Kniffe immer weiter verfeinert (raffiniert) wird, bis sich der Zucker schließlich auskristallisiert. (Übrigens wird auch Rohöl gereinigt, verfeinert und veredelt, was dort bekanntlich ebenfalls in »Raffinerien« geschieht.)
Die Briten stiegen vergleichsweise spät ins Zuckerrohr- und Sklavengeschäft ein. In der Karibik betrieben sie Plantagen zunächst erfolgreich und effizient in Barbados. Ab etwa 1650 besetzten sie die viel größere Insel Jamaika, wo sich zwar langsam, aber wegen der großen Landressourcen dann doch eine bedeutende Zuckerindustrie etablierte, deren Schrecken im Mutterland wohlbekannt waren. Von John Locke über Samuel Johnson bis zu Adam Smith wurde die Sklaverei allgemein verurteilt, und England wurde das Mutterland des Abolitionismus, der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei. Ungeachtet dessen boomte gerade in Jamaika in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Zuckerrohranbau, und die Briten kontrollierten damals, kurz vor Ende der Sklaverei imEmpire, ungefähr die Hälfte des transatlantischen Zuckerhandels. Gerade in England hatte der seit etwa 1600 ständig steigende Konsum von Kakao, Kaffee und Tee in immer breiteren Bevölkerungsschichten die Nachfrage immer weiter ansteigen lassen. In Großbritannien wurde der Massenkonsum von Zucker früher erreicht als auf dem Kontinent, und für englischen Zucker wurde noch im 19. Jahrhundert mehr Zuckerrohr verarbeitet als Zuckerrüben. Eine der bekanntesten Traditionsfirmen im Königreich ist der Zuckerproduzent Tate & Lyle, deren Mitbegründer Henry Tate Stifter der Tate Gallery in London ist.
Im 19. Jahrhundert wurde schließlich Kuba ein wichtiger Zuckerrohrproduzent mit einer wechselvollen Geschichte bis ins 20. Jahrhundert, ja bis in die Gegenwart hinein.
Zucker ist das weltweit wichtigste und ökonomisch bedeutendste Gut, das aus Pflanzen gewonnen wird. Die Weltzuckerproduktion beträgt rund 145 Millionen Tonnen, wovon ein Drittel in den internationalen Handel gelangt. (Bei Weizen und Mais kommen nur etwa 15 Prozent auf den Weltmarkt; Zucker ist also ein sehr bedeutendes Welthandelsgut.)
Das in der Gegenwart mit Abstand führende Anbauland ist Brasilien, wo doppelt so viel wie in Indien produziert wird, allein 2005 waren es fast 30 Millionen Tonnen. Der Zuckerrohranbau begann dort übrigens schon 1532 mit den Portugiesen und wird in der Gegenwart rasch ausgeweitet, unter anderem um Biokraftstoff zu gewinnen. Schon immer lieferte Brasilien bedeutende Mengen nach Europa, und Lissabon wurde demzufolge zu Beginn der Kolonialzeit zu einem der wichtigsten
Weitere Kostenlose Bücher