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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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verkündete, nennen wir heute die »Predigt von Benares«.
    Noch während der neue Buddha predigte, ging einem der fünf Asketen die erleuchtende Erkenntnis auf: »Was auch immer entsteht,
     das ist dem Vergehen unterworfen!« Er wurde der erste Mönch in der Geschichte des Buddhismus. Nur wenig später bekannten sich
     die restlichen vier zur neuen Lehre. Auch sie fanden sogleich die Befreiung, den Nirwana-Durchbruch, und auf der Stelle waren
     sie allesamt zu Heiligen geworden.
    So will es die Überlieferung. Mich aber verwirrt der Bericht. Siddharta hatte seine Erleuchtung nach hartem Ringen in der
     Einsamkeit, im mystischen Innewerden gefunden, und seinen ersten Mönchen passierte das Wunder ganz plötzlich auf offener Straße?
     Allein durch Belehrung und Erklärung, ohne »rechtes Sich-Versenken«? Wie soll ich mir das vorstellen? War das Nirwana-Heil
     so leicht zu erreichen? Wozu brauchte man dann den umständlichen Umweg über den Achtfachen Pfad? Dort sind Unkenntnis und
     Unwissen die entscheidende Ursache für den verzehrenden Lebensdurst. Sie müssen vernichtet werden, damit der Durst erlischt.
     Wie ich es auch wende, die Widersprüche bleiben. Aufklärung oder Erleuchtung – was führt ans Ziel?
    Beides, so lautete die salomonische Antwort der Mönche. Eine Kombination von Aufklärung und Erleuchtung ist der richtige Pfad.
     Umstritten blieb die Frage trotzdem im Buddhismus, auf welchem Weg man heilig, ein Erleuchteter werde. Ist der Nirwana-Durchbruch
     schon mitten im Leben und »nicht mit dem Tod verbunden« zu erreichen oder doch erst im Augenblick des Sterbens? Mir scheint,
     als hätte Buddha zunächst die spontane Erleuchtung favorisiert, das augenblickliche Nirwana-Erlebnis. Die Lehre vom Achtfachen
     Pfad wäre dann eine spätere Weiterentwicklung der Lehre, die erforderlich wurde, als aus der kleinen Schar der Mönche eine
     unüberschaubare Massenbewegung erwachsen war. Und die Massen benötigten eine Gebrauchsanleitung, die Lehre vom Achtfachen
     Pfad, die ihnen zeigte, wie sie sich auf die Erleuchtung vorbereiten konnten.
    |58| Verweilen wir noch einmal bei den Vier Großen Wahrheiten: Alle unsere scheinbaren Aktivitäten sind in Wirklichkeit Passivitäten.
     Wir denken, dass wir schieben, und in Wahrheit werden wir geschoben. Unser Gehirn ist ein Organ, das im Dienst der Lebenserhaltung
     steht. Es spiegelt uns einen freien Willen vor, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Es organisiert unser Ichbewusstsein, und
     das vermittelt uns den Eindruck, die »Gegenstände des Ergreifens« würden wir uns aufgrund einer persönlichen Wahl aneignen.
     Doch nicht wir führen Regie, sondern blinder genetischer Lebens- und Überlebensdrang. In Buddhas Worten: »Sinnendurst, Werdensdurst,
     Vergänglichkeitsdurst.« Der Durst nach Leben, nach immer mehr Erleben, ist die treibende Kraft, die auch Goethes Faust letztendlich
     ins Unglück stürzte und von der dieser einfach nicht lassen konnte. »Noch im Genuss verschmacht ich nach Begierde«, ließ Goethe
     ihn sagen. Einen Ausweg findet nur, wer die Begierde überwindet, wie in Buddhas Botschaft: Wird der Lebensdurst aufgehoben,
     werden wir uns endlich selbstbestimmt dem Leben stellen können.
    »Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden, woher das Sanfte und das Gute kommt, weiß es auch heute nicht und muss
     nun gehen.« Diese Worte stammen von Gottfried Benn und wurden im 20. Jahrhundert geschrieben. Sie sprechen mir aus der Seele,
     denn auch ich stelle mir diese Frage bis heute.
    Buddha kehrte mit der Botschaft bergpredigthafter Güte, Metta, in die Welt des Samsara zurück. Unter seinen Worten finden
     sich zahllose Aussprüche, die das »Sanfte und das Gute« preisen: »Hass beseitigt niemals Hass, Hass endet durch Güte, das
     ist ein ewiges Gesetz.« Oder: »Besiege den Zornigen durch Güte.« Und wieder: »Lasst uns nicht jene hassen, die uns hassen.
     Unter den Menschen, die sich hassen, wollen wir frei von Hass leben.« Durch meditative Entfaltung allumfassender Metta wird,
     wie in der Jaina-Philosophie, auf die wir gleich zu sprechen kommen, Gewaltlosigkeit zum Lebensprinzip: »Wie eine Mutter unter
     Einsatz ihres Lebens ihr Kind schützt, so soll jeder grenzenlose Güte zu allen Lebewesen entwickeln. Jeder entfalte ringsum
     zu den Welten jene Barmherzigkeit, die frei ist von Herzensengigkeit, Hass und Feindschaft.« Erinnern wir uns, Laotse lehrte
     zur selben Zeit das Gleiche, bei ihm heißt es die Lebensführung nach

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