Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
hat man es den beiden später angedichtet. Der junge
Siddharta soll in der Schule, in jeder Kampfsportart obendrein, alle Gleichaltrigen ausgestochen haben. Doch muss man schöne
Buchstaben malen können, um voll des Geistes zu sein? Religiöse Kompetenz entsteht anders, obwohl es auch Gegenbeispiele gibt,
wie der Fall Luther lehrt. In der Regel jedoch schaden die Schriftgelehrten den Religionen eher als dass sie ihnen nutzen.
Worte wie diese von Buddha gesprochenen werden gewiss nicht am Schreibtisch formuliert: »Alles brennt. Und wodurch brennt
es? Durch das Feuer der Gier, durch das Feuer des Hasses, durch das Feuer des Wahns brennt es. Durch Geburt, Altern, Sterben,
Kummer, Wehklagen, Schmerz, Gram und Verzweiflung brennt es.« Die ganze Welt brennt.
Buddha, der Tathagata, der aus dem Nirwana Gekommene, spritzte nicht mit Tinte um sich. Seine Worte lösten Katastrophenalarm
aus. Deshalb ist es wichtig, dass seine Lehre in die Schulen kommt. Wie sollte das Gespräch zwischen den Religionen gelingen,
wenn es nicht in der Schule beginnt? Verschulen lässt sich Buddha trotzdem nicht. Seine Gemeinde ist und bleibt die Mönchsgemeinde.
Das Kloster, ein Haus in der Hauslosigkeit
Der Erleuchtete behielt sein Wissen nicht für sich. Metta, die Allgüte, war stärker. Sie ließ ihn zum Missionar seiner eigenen
Person werden. Und die vervielfältigte sich durch die Mönchsgemeinde, den Sangha.
Zunächst existierten noch keine Klöster. Die Schar wanderte mit ihrem Meister umher, nächtigte in Wäldern oder in Parks und
verbrachte die Monsunzeit in den Versammlungshallen der Städte.
Nicht wie die Nacktgänger der Jainas und anderer Asketenbewegungen sollten sie sich aufführen, verlangte Buddha. Ein paar
Tuchfetzen jedoch genügten, die Blöße zu bedecken, aufgelesen am Straßenrand oder vom Leichenfeld eines Dorfes. Später wurde
daraus das »Dreigewand«, bestehend aus drei rechteckigen ockerfarbenen Tüchern. Mit Stab und Reisschale durchzogen die Mönche
bettelnd die Städte und Dörfer. Eine asketische Übung, für die Einheimischen ein vertrauter Anblick. Seit undenklichen Zeiten
durchstreiften Asketen den indischen Subkontinent, und die Leute gaben gern. Mönche bedanken sich nicht, die Geber danken.
Durch die Gegenwart der heiligen |64| Männer, die Glück und Segen verhieß, fühlten sie sich geehrt. Die Mönche erwiderten den Dank mit Unterweisungen in der Lehre.
Die Bärte der Männer sollten kurz geschoren sein, desgleichen das Haupthaar. Ihre Nahrung bestand vorwiegend aus pflanzlicher
Kost. Fisch oder Fleisch durften die Mönche Buddhas verzehren, wenn das Tier nicht eigens für sie getötet worden war.
Bei Dunkel- und Vollmond fand sich die verstreute Gemeinde zusammen, um einander Verfehlungen zu bekennen und zu beichten.
Die dreimonatige Regenzeit verbrachten die Mönche gemeinsam mit ihrem Meister in einer wetterfesten Unterkunft. Dort bildeten
sich auch die ersten Regeln für die Tageseinteilung aus. Die Nachtmitte war für den Schlaf bestimmt. Das letzte Drittel verbrachte
die Gemeinschaft meditierend, oder man lauschte den Lehren Buddhas und rezitierte laut seine Sutras. Morgens begab man sich
auf den Bettelgang. Vor der Tagesmitte musste das Essen beendet sein, der Rest des Tages gehörte dem Unterricht, der Körperpflege
und den anfallenden Hausarbeiten.
Der Eintritt in die Ordensgemeinschaft erfolgte durch die Rezitation der dreigliedrigen Zufluchtsformel: »Ich nehme Zuflucht
bei dem Buddha, ich nehme Zuflucht bei der Lehre, ich nehme Zuflucht bei der Gemeinde.« Dem Neuling wurde auferlegt, sich
von Almosen zu ernähren, am Fuß eines Baumes zu leben, Lumpen zu tragen, den Urin einer Kuh als Medizin zu verwenden. Zehn
Verboten unterwarf der Mönch sein Verhalten: Nicht töten, nicht stehlen, sich nicht sexuell betätigen, nicht lügen, keine
Rauschmittel zu sich nehmen, nicht während der zweiten Tageshälfte essen, keine Tanz-, Gesang- und Musikdarbietungen besuchen,
sich nicht mit Schmuck oder Blumen behängen, keine hohen und breiten Betten benutzen, kein Gold oder Silber annehmen. Im Lauf
der Zeit wuchs der Gebots- und Verbotskatalog auf zwei- bis dreihundert Vorschriften. Zum Ausschluss aus dem Orden führten
sexuelle Aktivitäten, Diebstahl, Töten eines Lebewesens oder die Ausübung magischer Praktiken.
Das Mönchswesen verbinden wir fast automatisch mit Religion. Aber nicht jede Religion kennt es. Im Judentum
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