Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Beispiel einen ganzen Beduinenstamm aus. Anderen
nahöstlichen Potentaten stand er darin um nichts nach. David, Sauls Nachfolger, führte ununterbrochen grausame Eroberungskriege,
die seine Nachbarn in Angst und Schrecken versetzten. Aus den friedliebenden Nomaden waren Gotteskrieger geworden. Und die
kämpften bis zum bitteren Ende. Auch wenn sie nichts zu gewinnen hatten als den Märtyrertod.
Das bekamen sogar noch die Römer zu spüren, die nach den Griechen Palästina unterwarfen. Roms Legionen mussten Jerusalem über
Jahre angreifen, Belagerungsstürme und Katapulte auffahren, sie mussten die Stadt aushungern, bis es ihnen gelang, die aufsässigen
Juden niederzuzwingen. Das geschah im Jahr 70 unserer Zeit, und damals wurde zum zweiten Mal der Tempel Jahwes dem Erdboden
gleichgemacht. Den teuer erkauften Sieg der Legionen bezeugt noch heute der Titusbogen am Forum Romanum. Damit war der Widerstand
jedoch noch nicht gebrochen. Der Guerillakrieg ging weiter. In der Bergfestung Massada, hoch über dem Toten Meer, verschanzten
sich tausend Israelis und hielten den Belagerern stand. Dann nahmen sie sich, Männer, Frauen, Kinder, gemeinsam das Leben.
Danach flammte der jüdisch-römische Krieg in Mesopotamien, Ägypten, Libyen und Zypern wieder auf. Die Juden, so urteilte ein
christlicher Historiker, brachte ein »böser revolutionärer Geist« dazu, »sich gegen ihre griechischen Mitbürger« zu erheben.
Nur mit äußerster Mühe gelang es den römischen Legionären, deren Widerstand aufzurollen, »mit Infanterie, Kriegsschiffen und
berittenen Kommandos«. Und das war noch immer nicht das Ende.
Im Land Israel scharte Shimeon bar Kosiba im Jahr 132 wehrfähige Männer zu Tausenden um sich. Seine Anhänger bewunderten ihn
als Messias, als den Inbegriff des idealen und von Gott gesandten Herrschers aus dem Stamm Davids. Der »Sternensohn« eroberte
Jerusalem von den Römern zurück, bot lange den anrückenden Legionen die Stirn. In seinem messianischen Anspruch wurde er durch
Akiba ben Josef bestärkt, einem einflussreichen rabbinischen |95| Gelehrten. Dieser scheint weithin verantwortlich für die Leidenschaft des Widerstands zu sein. Auf Akibas Konto ging darum
auch die lähmende Enttäuschung, die sich nach dem Ende des charismatischen Aufrührers wieder über das Land legte.
Nach den Assyrern, Babyloniern, Griechen kamen die Römer: den Sieg der Legionen bezeugt noch heute der Titusbogen am Forum Romanum.
|95| Den gescheiterten Shimeon bar Kosiba kennt der Talmud, neben den Büchern Moses das zweite Gesetzeswerk der Juden, das die
mündlichen Überlieferungen über mehrere Jahrhunderte hinweg zusammenfasst, nur als »Lügensohn«. Das Rabbinat verstand sich
fortan als politisch konservative Ordnungsmacht. Jedem Enthusiasmus begegnete man mit ängstlichem Misstrauen. Stillehalten
und Hoffen wurde zur Losung der Rabbiner. Akiba ben Josef war ihnen eine Lehre gewesen. Für seine politische Verstrickung
soll er mit einem Märtyrertod gebüßt haben, um den sich ergreifende Legenden ranken.
Das Ende von Shimeon bar Kosiba bedeutete das endgültige Aus für die Selbstbestimmung Israels. Ein oder gar zwei Drittel der
Juden verlor in den Kriegen mit Rom das Leben. Hunderttausende Frauen, Männer und Kinder wurden als Sklaven verkauft und verschickt.
Paradox genug: Durch die Versklavung der Juden erhöhte sich deren Zahl in vielen Ländern. Denn wo sie nur konnten, kauften
jüdische Gemeinden ihre Glaubensgeschwister frei und halfen ihnen, eine neue Existenz zu gründen: in Spanien, im Europa nördlich
der Pyrenäen, in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens.
Seit dem Aufstand des »Sternensohnes« lebte Israel in der Zerstreuung. Ein Volk ohne ein eigenes Land und ohne staatliche
Institutionen. Erst der Holocaust des Hitler-Regimes zwang die Weltgemeinschaft zum Handeln. Eine UNO-Resolution sprach 1947
den Juden eine Heimstatt in Palästina zu und teilte das Land zwischen ihnen und den Arabern auf. Diese wiesen den Teilungsplan
zurück und versuchten, die Juden wieder zu vertreiben. So begann ein neues blutiges Kapitel in der Geschichte des »Gelobten
Landes«.
Der Messias wartet schon
Das Römische Reich war eine zivilisatorische Erfolgsgeschichte. Als einziges Volk haben sich die Juden der Romanisierung wiedersetzt.
Sie zahlten dafür einen hohen Preis, und es grenzt an ein Wunder, dass sie nicht zwischendurch aufgaben, in der Völkerwelt
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