Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Er beschlagnahmte die Heiligen
Schriften, die Tora, entweihte den Jahwe-Tempel, ließ Schweine durch das Allerheiligste treiben. Antiochus versuchte, den
Juden griechische Sitten aufzuzwingen, verbot ihnen Opfer und Feste, den Sabbat und die |90| Beschneidung. Doch die Juden ließen sich seine Schikanen auf Dauer nicht gefallen. Sie revoltierten unter der Führung dreier
Priestersöhne. Nach blutigen Kämpfen erzwangen sie sich Eintritt in Jerusalem, reinigten den Tempel und weihten ihn neu.
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Das Channuka-Lichterfest erinnert an den 25. Kislev des Jahres 164 vor unserer Zeit.
|90| Heute erinnert das Channuka-Lichterfest an den 25. Kislev des Jahres 164 vor unserer Zeit, an dem Israel zum ersten Mal nach
vier Jahrhunderten seine Autonomie für kurze Zeit zurückgewann. Zum letzten Mal für sehr lange Zeit – bis zur Gründung des
Staates Israel im Jahr 1948. In seiner historisch datierbaren Geschichte von 3000 Jahren besaß das jüdische Volk politische
Selbstbestimmung nur rund 500 Jahre lang.
Israels Religionsgeschichte ist die Religion des »wandernden Gottesvolkes«. Die Erfahrung der »Galut«, des Exils, durchzieht
seine ganze Geschichte, Galut wird zum Sinnbild jüdischer Existenz. Vom Aufenthalt in Ägypten, über das Babylonische Exil
bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels durch die römischen Herrscher. Das Gefühl, in der Fremde zu sein, findet seinen Ausdruck
in der jüdischen Dichtung, der hebräischen Predigt, in Mystik und Theologie.
Das jährliche Sukkot-Wochenfest, das »Fest in den Laubhütten«, symbolisiert am sinnfälligsten das Selbstverständnis eines
Volkes, das sich permanent in Aufbruchstimmung befindet.
»Alle in Israel Einheimischen sollen in Hütten wohnen, damit auch eure künftigen Generationen erfahren, dass ich die Israeliten
in Hütten wohnen ließ, als ich sie aus dem Ägypterland hinwegführte: Ich, Jahwe, befehle es euch, euer Gott«, lautet die gesetzliche
Bestimmung der Tora. Ein alter Text erzählt, wie die Juden bei ihrer Heimkehr aus Babylon zum ersten Mal Sukkot in dieser
Form begingen: »Zieht hinaus ins Gebirge und holt Äste vom veredelten oder wilden Ölbaum, von Myrten, Palmen und anderen Laubbäumen«,
sprachen die Gesetzeskundigen zum Volk. »Da zog das Volk hinaus und holte sich’s und machte Hütten, ein jeder auf seiner Dachfläche
oder im Haushof oder in den Vorhöfen des Tempels. – Alle, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren, machten sich solche
Laubhütten und wohnten darin.« Das ganze Leben zwischen dem Heute hier und Morgen dort wird zu einem Provisorium. Dabei waren
die jüdischen Gläubigen beinahe des Glaubens, Gott habe die Welt nur wegen seines Bundes mit Israel erschaffen. Was im gewissen
Sinn sogar stimmt, denn das jüdische Weltbild ist unvergleichlich anders als das anderer Völker.
Die jüdische Erfahrung der Entfremdung beschrieb im vorigen Jahrhundert der Prager Schriftsteller Franz Kafka sehr eindringlich:
»Dieses Leben erscheint unerträglich, ein anderes unerreichbar. Man schämt sich nicht mehr sterben zu |91| wollen; man bittet aus der alten Zelle, die man hasst, in eine neue gebracht zu werden, die man erst hassen lernen wird. Ein
Rest von Glauben wirkt dabei mit, während des Transportes werde zufällig der Herr durch den Gang kommen, den Gefangenen ansehen
und sagen: ›Diesen sollt ihr nicht wieder einsperren. Er kommt zu mir.‹« Entfremdungserfahrung, Gettoerfahrung, in sechs Worten
auf den Punkt gebracht: »Ein Käfig ging einen Vogel suchen.« Das Hintergründige, das die Literaturhistoriker Kafkas Werken
zuschreiben, verschwindet, sobald man seine Texte vor dem Hintergrund jüdischer Galut liest. Seine Erzählungen sind präzise
Beschreibungen dieser Erfahrung.
Als Protest gegen eine Welt, in der es für den Menschen keine wirkliche Nische gibt, katapultiert sich der Buddha aus ihr
heraus. – Dieser Weg ist der jüdischen Religion versperrt. Weltloses Heil kennt sie nicht. Die jüdische Existenz muss ihr
Heil, das »entsprechende Gegenüber«, in der Welt, in seiner Geschichte finden.
Israels Propheten fassen dafür einen zukünftigen »Tag Jahwes« ins Auge:
»Geschehen wird es in kommenden Tagen: Da spricht er selbst den Nationen das Recht, ist er der Schiedsrichter für viele Völker.
Aus ihren Waffen werden sie Pflüge machen und Weinberggerät aus ihrem Mordwerkzeug. Kein Volk wird mehr das andere bekriegen,
Ausbildung für Soldaten gibt es
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