Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Fruchtbarkeit der Provinz, die »Königsleckerbissen«
lieferte. Ihre Einwohner galten aber als Juden zweiter Klasse. »Was kann aus Nazareth Gutes kommen?«, heißt es in einem der
Texte. Noch in späteren Zeiten urteilte der Talmud über die Nordprovinz: »Galiläa, Galiläa, du hasst die Lehre, schließlich
wirst du den Räubern gehören!«
Frauen um Rabbi Jesus
Anstößig wirkte auch der Umgang von Jesus mit Frauen. Sie begleiteten den Prediger auf seinen Wanderungen, kamen für seinen
Unterhalt auf, beherbergten ihn und die Seinen. Und Jesus stellte sich vor sie. Alles Handlungen, die bei einem Rabbiner befremdlich
wirken mussten. Frauen waren nicht voll religionsmündig. »Mögen die Worte der Tora verbrannt werden, doch man soll sie nicht
den Frauen in die Hand geben«, befand einer der Gesetzeslehrer: »Die Weisheit der Frau ist in ihrem Webstuhl!«
Ich lese mit Vergnügen jene kleine Begebenheit, die Lukas erzählt: Jesus kehrt unterwegs mit seinen Leuten im Hofhaus der
Marta ein. Die rennt los und veranstaltet einen riesigen Wirbel, um ihre Gäste zu bewirten. Unterdessen sitzt ihre Schwester
Maria bei den Männern und folgt ihren Gesprächen. Schließlich |149| wird es Marta zu dumm, und sie beschwert sich. Jesus solle doch Maria anhalten, ihr zur Hand zu gehen! Jesus antwortet: »Marta,
du machst dir viel zu schaffen, Maria aber hat Wichtigeres zu tun!« Ein Ausspruch, der mich an die griechische Philosophin
Hipparchia erinnert. Sie wanderte mit ihrem Mann durch Stadt und Land und lehrte. Natürlich zog sie sich dabei Hohn und Kritik
zu. Der Platz einer Frau sei schließlich das Haus. Hipparchia antwortete: »Statt meine Zeit am Webstuhl zu vertun, nutze ich
sie lieber für meine Bildung!« Sie waren Schwestern im Geist, Hipparchia und Maria, die eine Griechin, die andere Jüdin.
Auch Paulus gelten Frauen als gleichwertige Christinnen. Einige seiner Mitarbeiterinnen sind namentlich bekannt, darunter
Junia, die Apostelin. Gerade über Frauen, die in der damaligen Gesellschaft grundsätzlich politisch und religiös deklassiert
waren, nahm die Frohbotschaft ihren Weg in die Völkerwelt des Mittelmeerraums. Profitierten doch gerade sie von der paulinischen
Verkündigung: »Ihr seid zur Taufe auf den Messias untergetaucht und seid sozusagen damit in seine Haut geschlüpft. Da hat
es nichts mehr zu sagen, ob einer Jude ist oder Nichtjude, Sklave oder frei, Mann oder Frau. In der messianischen Gemeinschaft
seid ihr alle gleich und eins.«
In der dritten und vierten Christengeneration wendete sich das Blatt allerdings aufs Neue. Die auf den Mann fixierte Gesellschaft
kassierte die neue christliche Freiheit der Frauen wieder ein.
Warum musste Jesus sterben?
Statt vom religiösen Klassenkampf rede ich lieber von der großen Volksnähe der Jesus-Botschaft: von seiner erzählenden, so
gar nicht lehrenden und belehrenden Sprache, von seinem Umgang, der Lebens- und Tischgemeinschaft mit den Unberührbaren. Alles
summierte sich zu einem überwältigenden Eindruck, den seine Person bei den Menschen hinterließ. Sein Charisma verleitete sie,
in ihm mehr zu sehen als nur den Buß- und Wanderprediger. »Ist dieser nicht des Zimmermanns Sohn?«, fragten sich die Leute.
»Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jakobus und Josef und Simon und Judas? Und sind nicht auch seine Schwestern
bei uns? Woher hat er dieses alles?« War dieser Joschua ben Mirjam vielleicht der Vorläufer des Messias? Oder gar der Gesalbte
selbst? So entstand, gleichsam über Nacht, eine galiläische Massenbewegung. Ihre Spontaneität, ihr rasantes Wachstum lösten
im krisengeschüttelten Jerusalem Alarm |150| aus. Und als Jesus seine Bewegung dann auch noch ins judäische Land trug, hatte er sich sein Todesurteil eigentlich schon
selbst gesprochen.
Massenbewegungen, aus welchem Anlass auch immer, brachten die Verantwortlichen von Jerusalem in Panik, denn sie endeten fast
immer in einem Blutbad. Pontius Pilatus, der römische Statthalter, war da nicht zimperlich. Noch war das Massaker im Stadtzentrum
nicht vergessen, als der Prokurator den Befehl gegeben hatte, »die Schreier mit Schlagstöcken zu bearbeiten, und als es plötzlich
Schläge hagelte, verloren viele Juden dabei das Leben, andere wurden auf der Flucht von ihren eigenen Landsleuten niedergetrampelt«.
Jesus mussten solche Vorfälle bekannt sein, als er an der Spitze der galiläischen Pilgerschar zum Pessach-Fest
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