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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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die Kinderzahl zu begrenzen. Der Koran untersagt den Kindesmord. Außerdem ließ Muhammad weder seine Frauen noch seine Töchter
     beschneiden. Damit widersetzte er sich einem im damaligen Arabien weit verbreiteten Ritual. Ich erinnere mich an einen Spruch
     des Propheten, wo es sinngemäß heißt: Beschneidet sie nicht, wir Männer sind unseren Frauen sowieso lästig genug, das bisschen
     Freude lasst ihnen!
    Dass der Koran die männliche Überordnung betonte, war in Zeiten des Patriarchats nicht anders zu erwarten. In der Metropole
     bewertete man die Tendenz von Muhammads Ehegesetzen jedoch als gleichstellerisch. Dort sagten die Männer: »Wir haben in Mekka
     das Sagen, in Medina führen Frauen das Regiment.« Hätte die Scharia doch nur das frauenfreundliche Verhalten des Propheten
     weiter fortgeschrieben! Leider geschah genau das nicht.
    Währenddessen kamen die Frauen im mittelalterlichen Europa auf dem dornigen Weg der Selbstbestimmung millimeterweise voran.
     Muslimische Reisende registrierten mit ungläubigem Erstaunen, was für Rechte etwa die Stadt Paris den dortigen Frauen zugestand:
     »Die Franken haben überhaupt keine Gefühle der Eifersucht und auch keinen Ehrbegriff. Sagen wir, einer von ihnen geht mit
     seiner Frau die Straße entlang und sie treffen einen Mann, den sie kennen. Da nimmt dieser Mann die Frau beiseite und spricht
     mit ihr, während der Ehemann danebensteht und darauf wartet, dass sie ihr Gespräch beenden. Wenn es ihm zu lange dauert, dann
     lässt er sie mit dem Mann alleine und geht weiter. So etwas habe ich mit eigenen Augen gesehen.« In muslimischen Berichten
     über die christlichen Kreuzfahrerstaaten lese ich ähnlich entsetzte Äußerungen über den offenbar auch dort üblichen freiheitlichen
     Umgang der Geschlechter.
    Die Freizügigkeit westlicher Frauen führen die muslimischen Autoren gern auf Maria zurück. Ihre götzendienerische Marienverehrung
     habe die Christen veranlasst, Frauen einen solch überhöhten Status einzuräumen. Ich wüsste gern mehr über diese Zusammenhänge.
     Die Marienliebe des Abendlands wurde von den französischen Troubadouren befördert. Und diese übernahmen im Mittelalter den
     Minnesang aus der muslimischen Kultur Spaniens! Da stellt sich doch |184| die Frage, wieso es zu derartig gegensätzlichen Entwicklungen hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen in der muslimischen
     und christlichen Welt kommen konnte.
    Juden und Christen unter der Herrschaft des Islam
    Bis nach Spanien drangen die Armeen des Islam 100 Jahre nach dem Tod des Propheten im Westen vor. Im Norden eroberten sie
     Vorderasien bis an die Grenzen Anatoliens und im Osten standen muslimische Verbände am Indus. Die Araber konnten dieses Riesenreich
     nur regieren, indem sie auf die bestehenden Verwaltungen zurückgriffen. Mit nackter Gewalt allein kamen sie nicht weit. Die
     arabischen Eindringlinge suchten die Kooperation, erzwangen keine Bekehrungen. Sie begnügten sich damit, die materiellen und
     geistigen Ressourcen der unterworfenen Kulturen in Besitz zu nehmen. Der Bevölkerungsmehrheit verordneten sie einen Minderheitenstatus
     mit festgeschriebenen Pflichten und Rechten. Und damit fuhren sie gut. Die islamischen Reiche blieben bei allen Turbulenzen
     relativ stabil. Allmählich bekehrte sich ein Großteil der Bevölkerung zum Islam, und die Unterworfenen rückten zu vollberechtigten
     Bürgern auf. Christen im Westen und Norden, die Anhänger des Propheten Zarathustra im Iran, Hindus sowie die Völkerschaften
     der asiatischen Steppe nahmen die Schahada, das muslimische Glaubensbekenntnis, an: »Es gibt keinen Gott außer Allah, und
     Muhammad ist sein Prophet.«
    Anfangs bekannten sich auch manche Juden zum Islam. Synagoge und Kirche waren mittlerweile so weit auseinander gedriftet,
     dass für Juden ein Konfessionswechsel zum christlichen Glauben kaum mehr denkbar war. Im Islam konnten sie sich eher wiederfinden:
     das gemeinsame semitische Erbe, das Ritual der Beschneidung, die ritualisierte Gebetspraxis und das Verbot von Schweinefleisch.
     Auch die kalendarische Berechnung der Monate nach den Mondphasen sowie der Beginn eines neuen Tages nach Sonnenuntergang waren
     den Juden vertrauter als der christliche Sonnenkalender. Darum sahen viele Juden zunächst im Islam ein messianisches Zeichen,
     das ihnen die Rückkehr ins Gelobte Land verhieß.
    Es taten sich sogar Perspektiven einer religiösen Ökumene auf. Ich erinnere mich an Talmud-Zitate, in denen es

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