Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
wiederholte
er: »Aisha, weißt du nicht, dass Allah, gepriesen sei er, mich mit Maria und mit Kulthum, Moses Schwester, und mit Assiya,
Pharaos Frau, im Himmel verheiratet hat?« Paradiesische Eskapaden. Wer konnte daran auf Erden Anstoß nehmen? Muhammad wollte
nicht mehr als ein Mensch sein – und dieser Mensch war eben ein Mann.
Aisha mochte das nicht, wenn öffentliches Amt und private Lebensführung wie zwei Teilmengen auseinander drifteten. Als Muhammad
nach einer etwas undurchsichtigen Affäre die Frau seines Stiefsohnes dazuheiratete und zu seiner Rechtfertigung obendrein
noch eine Sure aus dem Koran herbeibrachte, bemerkte sie spitz: »Da hat sich Allah aber beeilt, dir gefällig zu sein!« Aisha
war eifersüchtig, was sie auch eingestand. Muhammads männliche Umgebung irritierte das Verhalten des Gesandten Allahs jedoch
überhaupt nicht. Der Stiefsohn trat seine Frau Sainab spontan an Muhammad ab. Zwischen den Beteiligten blieb kein böses Blut.
Die entsprechenden Verse des Koran lauten: »Als du zu dem, der von Allah und dir Wohltaten empfangen hatte [Muhammads Stiefsohn
Said], sagtest: Behalte seine Frau und fürchte Gott!, und im Innersten für dich behieltest, was Allah doch offen legen würde
– weil du die Menschen gefürchtet hast, während du doch eher Allah fürchten solltest – und als dann Said seine Angelegenheit
mit ihr erledigt hatte [und sich von Sainab scheiden ließ], haben wir sie mit dir verheiratet. Dies geschah, damit die Gläubigen
kein schlechtes Gewissen |182| haben müssen [die Frau eines Stiefsohnes zu heiraten], wenn sie ihre Angelegenheit mit ihnen erledigt haben. Was Allah anordnet,
das geschieht. Der Prophet muss sich in dieser Sache, die Allah für ihn regelte, nicht bedrückt fühlen.«
Charles Fourier, der berühmte Sozialtheoretiker des 18. Jahrhunderts, schrieb einmal: Den Reifegrad einer Zivilisation könne
man daran messen, wie eine Gesellschaft mit ihren Frauen verfahre. Da sieht Muhammad schlecht aus. Oder doch nicht? Wie ging
der Prophet mit Frauen um?
Neue Rechtssicherheit für die Frauen
Die Antwort ist komplizierter als das westliche Vorurteil vermuten lässt. Nach Aishas Angaben kannte man im vorislamischen
Arabien vier Formen der Ehe: 1. Gegen Aushändigung eines Brautgeldes kann ein Mann die Tochter oder Schwester eines anderen
Mannes ehelichen. 2. Ein Mann fordert seine Frau auf, sich mit einem anderen Mann zu verbinden, dessen Anlagen wünschenswerte
Nachkommenschaft versprechen. 3. Eine Gruppe von höchstens zehn Männern trifft sich im Haus einer Frau und verkeht mit ihr.
Wenn sie schwanger wird, sucht sie einen der Männer als rechtmäßigen Vater aus. 4. Eine Frau prostituiert sich, wenn sie gebiert,
sucht sie einen Physiognomen auf, der entscheidet, wer von den Freiern die Vaterschaft annehmen muss.
Die Völkerkundler bestätigen Aishas Bericht. Sie ergänzen ihre Liste durch vier weitere Eheformen des vorislamischen Arabiens:
5. Eheschließung auf Tauschbasis. 6. Heirat der Witwe des Vaters, die der Koran ausdrücklich untersagt. 7. Die zeitlich begrenzte
Ehe. Diese wurde später von den Kalifen untersagt. Im Iran lebt diese Form jedoch weiter, was der Ayatollah Khomeini ausdrücklich
erlaubte: »Man gibt an, dass es sich um den Zeitraum einer Stunde, eines Tages, eines Monats, eines Jahres oder mehr handelt.«
8. Das Konkubinat, ein eheähnliches Zusammenleben ohne Heirat. Auch das verbietet der Koran.
Vor Muhammads Scharia bewegte sich die Ehe in einem fast rechtsfreien Raum. Das begünstigte die sexuelle Freizügigkeit, allerdings
auf Kosten einer klar definierten Rechtsposition für die Frau. Im byzantinischen Recht hieß es dagegen zur gleichen Zeit:
»Heirat oder Ehe heißt die Verbindung eines Mannes und einer Frau zur ungeteilten Lebensgemeinschaft.« Das war juristisch
eindeutig.
Die koranischen Ehegesetze zielen in dieselbe Richtung. Nichts sei Allah so |183| sehr verhasst wie die Scheidung, betonte sein Gesandter. Immerhin gestand er einem Mann vier Ehefrauen gleichzeitig zu, allerdings
unter dem einklagbaren Vorbehalt, dass er diese auch standesgemäß versorgen könne. Die in der Tendenz frauenfreundliche Haltung
Muhammads bestätigen zwei Punkte. Der Koran wendet sich entschieden gegen den beduinischen Brauch, weibliche Neugeborene auszusetzen.
Das geschah vor allem, wenn aus der Verbindung bislang noch keine männlichen Nachkommen hervorgegangen waren, oder einfach,
um
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