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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Risiko, dass der andere (oder die anderen) im selben Bett auch einen Herzinfarkt bekommt, unverändert. Ein Herzinfarkt und ein Blitzschlag sind unterschiedliche Arten von Risiko und doch kommt keins von beidem aus heiterem Himmel.
    Fassen wir die unterschiedlichen Risiken zusammen und packen sie um. Schnüren wir ein Paket, das zum Beispiel den Blitzschlag, ihn und Maroushka im Bett und Chicken mit einem Herzinfarkt enthält. Das Risiko, dass alle drei Ereignisse eintreten, ist – wegen des Blitzschlags – äußerst gering. Was aber bleibt, wenn man den Blitzschlag aus der Gleichung rausnimmt? Serge hat keine Ahnung – und die Wahrheit ist, diemeisten Leute, die mit risikobasierten Derivaten handeln, auch nicht.
    Na gut, vergessen wir den Blitzschlag und die Ménage à trois und denken an Hypotheken, Autokredite, Leasingverträge – das sind die Arten von Risiken, mit denen sich die Leute vom Securitisation Desk der FATCA beschäftigen. Genau das machen sie jetzt gerade, an ihren Tastaturen, am späten Freitagnachmittag. Wie hoch ist das Risiko, dass jemandem auffällt, dass Serge nicht mitmacht? Er starrt die Bildschirme an und versucht sich wieder in die Veränderungen des Marktes hineinzudenken, aber sein Herz klopft so laut, dass er bald aufgibt und mit dem Fahrstuhl zur Cafeteria hinauffährt, um zur Beruhigung einen Kamille-Ashwagandha-Tee zu trinken.
    Draußen vor dem Fenster der Cafeteria ballt sich eine stahlblaue Wolkenbank über der Stadt zusammen. Ein paar schwere Regentropfen klatschen gegen die Scheibe wie verglühende Sterne. Weit unten spannen Menschen, die wie Ameisen aussehen, Schirme auf, rennen auf Taxis und Busse zu und hasten nach Hause, bevor der Sturm losbricht. In etwa einer Stunde wird er auch dort unten sein, zur U-Bahn laufen, den geheimnisvollen Inhalt der Kakerlakenkapsel in der Hosentasche. Donner rollt und verhallt. Irgendwo hat der Blitz eingeschlagen.

Clara
    Käsekuchen
    Auch in Sheffield regnet es, als Clara am Freitagabend bei Waitrose an der Kasse steht, ihre Einkäufe auf das Fließband legt und sich fragt, ob es verwerflich ist, Mousse au Chocolat und Tarte au Citron und Käsekuchen und zwei Flaschen Prosecco zu kaufen. Nein, es ist nicht verwerflich. Weil ich es mir wert bin. Und weil ich Trost brauche.
    »Bar oder Karte?«, fragt die Kassiererin.
    Sie zieht einen von Idas Zwanzigern aus der Tasche und fährt mit ihrem Festmahl nach Hause.
    Der Diebstahl ihres Portemonnaies hat ihr die ganze Woche die Laune verdorben, wie ein schlechter Geschmack im Mund. In ihrem Kopf spielt sich immer wieder die Szene ab, als Jason sich am Montag an ihr vorbeigedrückt hat, bevor er davonlief. Da muss es passiert sein. Als sie am nächsten Tag mit der Klasse sprach, hat sie Jason besonders eindringlich angesehen, aber er wich ihrem Blick aus und starrte auf den Boden. Mr. Kennys Beschreibung von Jason klebt wie Kaugummi am Boden ihrer Gedanken, schmuddelig, aber hartnäckig.
    Als sie Mr. Philpott fragte, ob sie das Portemonnaie vielleicht im Heizkeller verloren hätte, sagte er nur: »Wer mir den Geldbeutel klaut, kriegt ’ne Tracht Prügel.«
    Mr. Gorst/Alan zwinkerte mitfühlend und fragte, ob sie die Polizei einschalten wollte. Sie schüttelte den Kopf. Sie warselbst schuld – sie hätte ihr Geld in ihrem Schließfach im Lehrerzimmer lassen sollen. Sie hat den Kindern keine Vorwürfe gemacht, sondern nur gesagt, dass etwas aus ihrer Handtasche verschwunden sei, und an die gute Seite der Schüler appelliert.
    »Wenn mir jemand etwas zurückgeben möchte, werde ich kein Wort mehr darüber verlieren und sehr froh und dankbar sein. Ihr könnt es mir einfach hier im Pult in die Schublade legen. Wenn einer von euch weiß, wovon ich rede, weiß er, was er tun kann.«
    Immer wieder hat sie in die Schublade gesehen. Sie war sich ganz sicher, dass die Kinder das Richtige tun würden.
    Doch sie taten es nicht.
    »Und? Ist es wieder aufgetaucht?«
    Ida nimmt sich ein Stück Käsekuchen aus der Schachtel auf Claras Küchentisch.
    »Nein.« Clara zieht den Korken aus dem Prosecco und seufzt. »Ich schätze, wenn sowieso absehbar ist, dass man bei der Stütze landen wird oder bei irgendeinem aussichtslosen Job für lausige fünf Piepen die Stunde, dann bedient man sich eben bei anderen Leuten und gibt Geld aus, solange man welches in die Finger kriegt, oder? Wozu sich die Mühe machen, ein besserer Mensch zu sein?«
    »Hier, du brauchst noch ein Stück.« Ida klatscht ein schweres Stück

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