Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
zurück.
»Was, hast du gesagt, war in der Datei, die du kopiert hast, außer Fotos?«
»Daten. Geburtstage.«
»Perfekt. Namen?«
Serge holt Luft. Plan A, das Rootkit, hat sich erledigt, aber offensichtlich arbeitet Otto schon an Plan B.
»Klar habe ich Namen. Sogar Spitznamen. Ich schätze, es ist die Frau oder die Tochter vom Chef.«
»Weil er ein sentimentaler Arsch ist?«
»Genau.«
Es ist ein naheliegender Sicherheitslapsus. Serge war immer davon ausgegangen, dass alle anderen Leute vorsichtiger wären als er, bis er einmal sah, wie Doro sich mit seinem Geburtstag einloggte.
»Ich hab hier eine hübsche kleine Software, mit der ich die Nuss vielleicht knacken kann. Hat er eine Hotmail-Adresse? Das ist ein einfacher Weg, Passwörter auszuprobieren. Oder Gmail. Oder BT.«
Serge kann das Tickticktick von Ottos Hirn fast hören, während er laut denkt. Er liebt die technische Herausforderung.
»Du glaubst also, er benutzt das gleiche Passwort für alle Transaktionen? Sogar seine Bankkonten?«
»Machst du das nicht?«, fragt Otto.
»Doch, aber nur, weil ich mir Passwörter nie merken kann.«
»Ich auch nicht. Zu viel anderer nutzloser Mist im Kopf. Hehe.«
Ottos Stimme – abgedreht, komisch, großspurig – ist nicht gerade vertrauenerweckend. Irgendwo darin hört Serge immer noch den verlassenen kleinen Jungen, der unter der Häkeldecke zitterte. Aber diesmal braucht er Otto, damit er ihn aus der Bredouille zieht.
»Erinnerst du dich, was die Großen in der Kommune immer gesagt haben – Eigentum ist Diebstahl?«
»Schick mir die Datei, Bruder. Ich spiel mal ein bisschen damit herum.«
Clara
Horatio
Mr. Philpott hält Wort. Als Clara die Tür zum Klassenzimmer öffnet, begrüßen sie vertrauter Pipigeruch und ein hektisches Rattern, das sie erst nicht einordnen kann, bis sie merkt, dass sich das Hamsterrad wie wild dreht. Der Neuankömmling im Hamsterkäfig ist ein bisschen dunkler als Hamlet und viel schlanker und lebhafter. Er hat das Wasserschälchen schon umgekippt und das Nest in Fetzen gerupft (Muskelbepackter Hamsterchampion verbreitet Schrecken an örtlicher Schule) . Doch keins der Kinder merkt, dass es ein anderer Hamster ist. Sie sind zu sehr vertieft in den Austausch ihrer Wochenenderlebnisse.
Jason Taylor und Robbie Lewis sitzen nebeneinander, schieben etwas unter dem Tisch hin und her, knuffen sich und grinsen. Sie wirft ihnen einen warnenden Blick zu.
Die beiden rutschen verstohlen herum, und sie muss innerlich lächeln. Sie hat das geklaute Portemonnaie zwar nicht vergessen, aber in den Kindern sieht sie manchmal schon die Erwachsenen durchschimmern, zu denen sie heranwachsen werden – regelmäßig Ärger mit der Polizei, arbeitslos, an Straßenecken rumhängend, es sei denn ... Das »Es sei denn« ist der Grund, weshalb Clara noch hier ist.
In der Mittagspause geht sie in den Heizkeller, um sich bei Mr. Philpott zu bedanken.
»Gefällt er Ihnen? Besser als der letzte Stinker, nicht?«
»Haben Sie einen Namen für ihn?«
»Oratio. Der Philosoph.«
»Hm. Das ist gut. Was glauben Sie, wie wäre wohl seine Hamsterphilosophie?«
»Wenn ein Amster sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.«
»Sehr tiefsinnig. Shakespeare?«
»Wittgenstein.«
»Wirklich?«
»Ich sag doch, um ein Aar wäre ich ein Intellektueller geworden.«
Es ist vier Uhr, und die Stille im Klassenzimmer wird noch von schrillen Stimmen auf dem Schulhof untermalt, dem Schlagen von Autotüren, Motorengeräuschen, die leiser werden. Da fällt ihr auf, dass die Stille stiller ist, als sie sein sollte. Ein unaufdringliches Geräusch, das den ganzen Tag im Hintergrund gerattert hat, ist plötzlich verstummt. Das Hamsterrad steht still. Sie will gerade nachsehen, was los ist, als es an der Tür klopft.
»Herein!«
Sie rechnet mit Jason oder einem anderen Schüler, der etwas vergessen hat, aber als die Tür aufgeht, kommt Oolie-Anna herein.
»Oolie! Was machst du denn hier?«
Sie rennt auf Clara zu und umarmt sie. »Edna hat mich gebracht. Ich hab ihr gesagt, dass Mum und Dad nicht daheim sind und dass du auf mich aufpasst.«
»Das geht aber nicht, Oolie. Mum macht sich bestimmt schreckliche Sorgen.« Das sagt Clara mit ihrer Leviathan-Stimme, und Oolie muss kichern.
»Macht sie nicht, weil du mich um fünf nach Hause bringst.«
»Aber warum das alles?«
»Weil ich mit dir reden will.«
Oolie wandert durch den Klassenraum, sieht sich die Zeichnungen an der Wand an und die Objekte in der
Weitere Kostenlose Bücher