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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Buch auf dem Schoß vor sich hin döst: ›Per Anhalter durch die Galaxis‹. Er fährt erschrocken hoch, und zwei Brillen rutschen ihm von der Nase auf den Schoß.
    »Danke, dass Sie die Säcke für mich verwahrt haben, Mr. Philpott. Ich nehme heute ein paar mit nach Hause für die Recyclingtonne.«
    Die zugeschnürten schwarzen Müllsäcke stehen im Flur vor dem Heizkeller. Ein Windstoß fährt durch die offene Tür und zerrt an ihnen, so dass sie flattern wie eine unordentliche Schar riesiger Krähen. Mr. Philpott hilft ihr, ein paar Säcke zu ihrem Wagen zu tragen und in den Kofferraum zu stopfen. Sie schlägt den Kofferraumdeckel zu und geht zurück ins Klassenzimmer. Dieser blöde Syrec-Mensch.
    Sie probiert es wieder mit der Mobilnummer von Syrec, und zu ihrer Überraschung meldet sich diesmal jemand. Es ist die gleiche Teenager-auf-Speed-Stimme wie beim letzten Mal.
    »Ja, ja. Oh, Scheiße. Das hab ich total vergessen. Tut mir leid. Ja. Vor zwei Wochen. Drei? Wo sind Sie? Gut, ich komme vorbei. Ja, genau. Heute Nachmittag um vier. Zwanzig Pfund.«
    Am Nachmittag ist Geschichte dran, Miss Postlethwaites Fach, die den Lehrplan erstellt und in ihrer Popowackelweisheit beschlossen hat, dass die Kinder von Greenhills etwas über das alte Ägypten lernen sollen. Vielleicht haben die alten Schlackehügel von Yorkshire sie an die Pyramiden erinnert.
    »Wer weiß noch, welcher Fluss durch Ägypten fließt?«, fragt Clara und behält die Wanduhr im Auge, die ganz langsam auf 15.15 zukriecht.
    Es wird geraschelt und gekichert. Niemand will sich als Erstesmelden, außer Dana Kuciak aus Polen, der es egal ist, dass alle sie für eine Streberin halten.
    »Bitte, Miss, der Nail.«
    »Fast richtig, Dana! Gut! Und wer weiß es genau?«
    »Ich weiß es, Miss! Der Nippel!«, ruft Robbie Lewis, mit den Händen heimlich unter dem Tisch beschäftigt. Die neueste Mode ist, dass jedes Wort, das mit »N« anfängt, durch »Nippel« ersetzt werden kann, was das Signal für sofortige Anarchie ist. Ein Chor von Geschrei, Gestöhn und Gekicher erhebt sich.
    Im Stillen verflucht Clara Miss Hippo und schreibt die Antwort an die Tafel.
    »Wer weiß sonst noch etwas über das alte Ägypten?«
    »Pyro-miden!«, ruft Jason.
    »Ja, Pyramiden! Gut, Jason!«
    Er hat wirklich etwas gelernt! Er sieht so erfreut darüber aus, dass sie ihm das gestohlene Portemonnaie fast verzeiht.
    »Knutschen Sie jetzt mit mir, Miss?«
    »Nein, Jason.« Aber sie muss lachen. »Wer kann mir sagen, wozu die Pyramiden gut waren?«
    »Tote Leute!«, rufen mehrere Stimmen.
    »Tote Feen«, sagt Dana selbstgefällig.
    »Und die Menschen glaubten, wenn man stirbt, wird das Herz gegen eine Feder gewogen, und jede böse Tat macht das Herz schwerer.« Warum gibt sie diesen unwissenschaftlichen Unsinn von sich? Vielleicht sollte sie mal mit Mr. Gorst/Alan darüber reden. »Und nur die Leute mit den leichtesten Herzen dürfen ins Paradies.«
    Das Schweigen von dreißig den Atem anhaltenden Kindern füllt den Raum. Die gesamte 6F ist überaus empfänglich für jede Art von abergläubischem Quatsch. Dann meldet sich Dan Southey, dessen Bruder beim Metzger in der Beckett Road arbeitet.
    »Miss, unser Pat hat mal ’n Schweineherz heimgebracht, und das war so schwer wie ’n Sack Kartoffeln.«
    »Aber Menschen sind nicht dasselbe wie Schweine«, sagt Tracey Dawcey.
    »Oink, oink«, macht Robbie Lewis.
    Sofort kaspern, stupsen und quieken alle durcheinander, und sie muss sie mit dem strengen Blick zur Ordnung rufen, gefolgt von einem von Miss Hippos langweiligen Arbeitsblättern.
    Als sich der Uhrzeiger 15.30 Uhr nähert, meldet sich Jason und sagt: »Warum müssen wir Sachen über die alten Ägypter lernen, Miss?«
    »Nun, Jason ...« Sie holt tief Luft und zählt im Stillen bis zehn. Als sie bei neun ist, klingelt es, und das Problem ist gelöst. Ein weiterer Tag in der Ausbildung der 6F ist vorüber.
    Sie liebt die Stille, die sich am Ende des Tages über das leere Klassenzimmer legt. Sie liebt die verklingenden Stimmen der Kinder, die auf dem Flur verschwinden, wie der Rückstrom einer Welle an einem Kiesstrand. Sie geht durch die Reihen, sammelt die Arbeitsblätter ein, auf denen sie ihre Taten festgehalten haben, meistens schlechte – »Jed geboxt«, »Mams Kippen geklaut«, »mit Rackel Oliver gepoppt«. Das sieht aus wie Jasons Handschrift.
    Dann sieht sie durchs Fenster, wie ein bulliger schwarzer Geländewagen auf den Parkplatz fährt. Die Fahrertür geht auf und ein

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