Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Serge Free vom Queens’ College kennt. Dann gießt sie ihre Pflanzen, staubt die Blätter ab und wünscht ihnen gute Nacht.

Serge
    A cappella
    Die Kaninchen sind los. Sie rennen im ganzen Garten herum, und Serge versucht sie wieder in den Käfig zu treiben. Clara ist auch da – die herrische neunjährige Clara –, sie schreit die Kaninchen an, und ihn auch. Schließlich wird das letzte Kaninchen in die Enge getrieben und zur Käfigtür gescheucht, doch dann bleibt es stehen und sieht ihn an, und er erkennt, dass es gar kein Kaninchen ist, sondern ein Mädchen. Ihre Nase ist stupsig und zuckt wie bei einem Kaninchen, aber die Augen sind groß und braun und glänzen von Tränen. Es ist Babs. Er versucht, sie in den Käfig zu schieben, aber sie will nicht – sie wehrt sich, zeigt ihm die großen Kaninchenzähne, stemmt sich mit beiden Händen gegen seine Brust. Mit pochendem Herzen wacht er auf; sein Kopf dröhnt. Mann, was hat er gestern bloß getrunken?
    Als er zur Arbeit kommt, sind die anderen Quants bereits im Glaskasten versammelt, wo sie sich an ihren Kaffeebechern festhalten und Informationen austauschen. Timo Jääskeläinens Problem war, wie sich herausstellt, nicht die Prostata, sondern sein Gesangsquartett. Man wirft ihm vor, mit den drei anderen Mitgliedern seines A-cappella-Quartetts Insidergeschäfte betrieben zu haben, indem er eine Reihe von kodierten Textnachrichten an einen der anderen Sänger schickte, der die Information an die Gruppe weitergab, die daraufhin über eineSpread-Betting-Agentur bis ans Limit wettete, statt direkt an der Börse zu handeln, wo die Kontrollen strenger sind. Gleichzeitig hatte der listige Tenor die massiven Reserven der FATCA benutzt, um die Preise zu manipulieren. Der ganze Schwindel lief seit mindestens zwei Jahren.
    Die Quants und Trader aus der Securitisation-Abteilung werden einzeln in den Konferenzsaal im obersten Stock geladen, um sich von den Detective Inspectors Birkett und Jackson befragen zu lassen, die von der FSA dazugerufen wurden, welche wiederum alarmiert worden war, als den Controllern im Backoffice der FATCA irreguläre Aktienbewegungen im Umfeld von Timo Jääskeläinen aufgefallen waren. Sie konnten ihm aber zunächst nichts nachweisen, da er bei dem Spread-Betting nicht selbst in Erscheinung trat. Von seinem Mobilfunkunternehmen bekam die Polizei dann die Details seiner Handy-Kontakte. Auf den ersten Blick schien es, als würde Timo nur SMS an seine Gesangskollegen bezüglich ihres Repertoires schicken. Was noch nicht geklärt werden konnte, ist die Höhe der Summen, die sie beiseiteschaffen konnten, und wohin.
    »Wenn ich sicher wäre, dass sie mich nicht schnappen, würde ich das auch machen«, sagt Toby O’Toole mit einem Schulterzucken, das zugleich Missbilligung und Bewunderung ausdrückt. »Ein Verbrechen ohne Opfer, oder?«
    »Le banking, c’est toujours un casino« , erklärt einer der Franzosen.
    »Privat-Betrug ist nicht gut für Ruf von Bank«, sagt Maroushka. »Durchschnittsleute brauchen Glauben an Banksystem. Er hätte vorsichtiger müssen. Was denkst du, Sergej?«
    »Ich denke, du hast recht. Wie immer, Maroushka. Wie hat Chicken reagiert?«
    »Er hält Ruhe.«
    Toby grinst und fixiert Serge mit hellen Augen. »Du hättest ihn mal erleben sollen, bevor er zu seinem Antiaggressionstraining verdonnert wurde, Freebie.«
    »Aggression? Ich finde ihn eigentlich ganz ...« Es ist schwer, Chickens Anziehungskraft zu beschreiben – eine Mischung aus Charme, Energie und guten Klamotten.
    »Charismatisch ist das Wort, nach dem du suchst. Das haben sie auch mit ihm trainiert, in so einem Kurs, wo man mit Paintball-Wummen in den Wald geschickt wird, um Führungsstärke zu lernen. Hast du das nicht gewusst?«
    Serge antwortet nicht. Tooties Kombination aus privatem Zynismus und öffentlicher Arschkriecherei ist manchmal schwer zu ertragen.
    »Du bist genau wie der junge Lucie. Noch eine unschuldige Seele, die vor Chickens Altar betet. Übrigens soll ich ausrichten, dass Lucie sich für gestern Abend entschuldigt. Hat sich heute krankgemeldet. Fühlt sich hundeelend, unser Kleiner.« Er grinst unangenehm. »Weiß einfach nicht, wann er aufhören muss.«
    Als Serge an der Reihe ist, im Konferenzsaal Fragen zu beantworten, sagt und fragt er so wenig wie möglich und versteckt seine Nervosität hinter einer Maske der Lässigkeit. DI Birkett und DI Jackson ihrerseits verstecken sich hinter einer Maske schmallippiger Professionalität.
    Er versucht