Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
straffen. Ja, es ist Optimismus, der sie zu einem cremefarbenen Satin-Pushup-BH greifen lässt und zu dem passenden spitzenbesetzten Hemdhöschen, die sie vor dem Spiegel anprobiert – 80B, das ist immer noch ihre Größe. Der schamlose Luxus des seidigen Stoffs lässt ihre Haut prickeln wie unter einer Liebkosung. Sie legt zwei Sets in den Korb – ein cremefarbenes und ein schwarzes. Soll sie das wirklich tun?
Ja. Weil sie weiß, dass früh genug Klettverschlüsse, Inkontinenzeinlagen und Hörgeräte auf sie zukommen werden; bröckelndeZähne, schmerzende Gelenke, büschelweise Haarausfall, Schmerzen und Krankheit und riesige Lücken in der Erinnerung, die Monate und Jahre ihres Lebens verschlucken werden. Doch jetzt ist Sommer, und ihr Körper funktioniert noch einigermaßen – manche Stellen scheinen sogar auf Hochtouren zu laufen –, und da ist ein Mann mit Luchsaugen, der auf sie wartet, und alles andere spielt keine Rolle.
Sie schiebt die Kreditkarte in das Gerät und gibt die PIN ein: Serges Geburtstag. Eines Tages wird sie sogar dieses Datum vergessen.
Das Mädchen lächelt und reicht ihr die Tüte mit ihrem Einkauf. »Einen schönen Tag.«
»Den habe ich bestimmt«, sagt Doro.
Serge
Engel
Mit stürmischem Wind zieht der Herbst in die City, reißt Zweige von den Bäumen, fegt Ziegel von den Dächern und bringt weitere heftige Erschütterungen auf den Märkten. Die irische Wirtschaft kracht zusammen. Isländische Banken, von toxischen Schulden verseucht, fallen um wie faules Holz. Trotz des Verbots von Leerverkäufen segeln die Aktien weltweit in die Tiefe wie die fallenden Blätter. Ein paar der großen Banken haben bereits angefangen, Stellen zu streichen: 5000 bei Lehman Brothers, etwa genauso viele bei Merrill Lynch. Credit Suisse, UBS, Barclays und Nomura setzen ein paar Hundert Leute an die Luft, und die mächtige Citigroup hat 1500 Entlassungen angekündigt. Selbst das mega-mächtige Unternehmen Goldman Sachs droht, jeden Zehnten der Londoner Belegschaft zu entlassen. Angst infiziert die Handelsräume in der City, und auch die Quants sind dagegen nicht immun – zwar ist bei der FATCA noch alles ruhig, aber niemand weiß, warum. Serge zieht den Kopf ein und konzentriert sich darauf, mit der Strömung zu surfen; er hat genug andere Sorgen, die seinen Adrenalinspiegel oben halten.
Seine Immobiliensuche in Brasilien ist zielstrebiger geworden. Er hat sich für eine Gegend entschieden, einen Küstenabschnitt, die Mindestzahl der Zimmer (drei) und die Obergrenze beim Preis (500 000 Dollar). Außerdem fügt er bei der Ausstattung Klimaanlage und einen Swimmingpool hinzu. Istdas genug, um sie zu reizen? Eines Abends googelt er aus Neugier die Stadt, aus der sie kommt. Er muss ein bisschen herumprobieren, bis er die Schreibweise richtig hat – Shytomyr. Kein Wunder, dass sie in den Westen wollte. Die Stadt wirkt eindeutig wie ein Ort, an dem man nicht sein will. Keine belebten, hell erleuchteten Straßen mit Geschäften und Cafés, sondern riesige, marode Betonklötze, düstere Plätze mit traurigen Leuten in formlosen Kleidern und graue Denkmäler von Typen, von denen er noch nie was gehört hat – irgendein Technokrat, der angeblich die Raumfahrt erfunden hat (haha), und ein Kerl in einem schlechtsitzenden Anzug mit einem Ziegenbart, der ihm vage bekannt vorkommt. Er vergrößert das Foto, und ein Bild aus seiner Kindheit taucht vor ihm auf. Hey! Es ist Lennie der Anführer! Was zum Teufel macht der denn da?
Die Temperatur im Glaskasten der Quants ist gestiegen, nicht wegen der Sonne, die sich für dieses Jahr verabschiedet zu haben scheint, sondern aufgrund des Wettkampfs um den frei gewordenen Drehstuhl. Chief Ken lässt sich Zeit mit der Benennung eines Nachfolgers für Tim the Finn – fast ist es so, als spielte er mit ihnen, als jonglierte er mehrere Bälle in der Luft.
Maroushka versucht Ansprüche geltend zu machen, indem sie sich auf Tims Drehstuhl dreht und ihre schönen Beine vorführt. Ginge es um Beine, oder auch nur um Mathematik, hätte sie vielleicht sogar eine Chance. Aber sie ist relativ neu, und ihre Visumsituation ist immer noch nicht geklärt. Außerdem, sie ist eben eine Frau. Und nicht nur das – es herrscht allgemein die unausgesprochene, aber durch Seitenblicke deutlich ausgedrückte Meinung, dass unter Maroushka zu arbeiten so ähnlich wäre, wie von einer Mischung aus Kristin Davis und Attila dem Hunnen geknechtet zu werden.
Offensichtlich ist auch Toby O’Toole
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