Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
stapelt sich schmutziges Geschirr, und ein Wäschehaufen liegt neben der Waschmaschine, in der eine feuchte Ladung darauf wartet, aufgehängt zu werden. Mit dem Haushalt geht es hier eindeutig bergab.
Sie setzt Teewasser auf und fahndet erfolglos nach einer Packung Kekse.
Doro ist unterwegs, bei einem Treffen des Kleingartenvereins, und Marcus sitzt oben an seinem Computer, also sind es nur sie und Oolie, die in der Küche Tee trinken. Oolie schaufelt sich zwei Löffel Zucker in den Tee, dann rührt sie noch ein halbes Dutzend Süßstofftabletten hinein.
»Brauchst du wirklich so viel Süßstoff, Oolie?«
»Mum sagt, den soll ich nehmen, dann bleib ich schlank.«
»Du musst den Zucker weglassen, nicht mehr Süßstoff nehmen, wenn du schlank bleiben willst.«
»Mum sagt, ich werde pummlig.«
»Aber du musst den Süßstoff anstatt des Zuckers nehmen,nicht beides zusammen, Oolie. Schmeckt der Tee so nicht viel zu süß?«
Oolie rührt entschlossen um. »Mum sagt, ich brauch Süßstoff.« Sie trinkt einen Schluck, dann schnappt sie nach Luft, weil sie sich die Zunge verbrannt hat. »Aua, ist das heiß!«
Clara zuckt die Schultern.
»Das bin ich, als ich ein Baby war, oder?« Oolie zeigt auf das gerahmte Foto an der Wand unter der Uhr, die Kommune von Solidarity Hall, aufgenommen irgendwann in den Achtzigern. »Da war ich auch schon pummlig, nicht? Mum sagt, jetzt werd ich wieder pummlig.«
Clara betrachtet das Foto, das sie schon tausendmal gesehen hat, ohne richtig hinzuschauen. Da ist Oolie als niedliches Kleinkind an Megans Hand. Megan starrt stirnrunzelnd in die Kamera. Trotz der anderen Frisur und des jüngeren Gesichts erkennt Clara plötzlich die Frau vom Schultor wieder. Der Schock geht so tief, dass sie einen Moment braucht, bis sie merkt, dass Oolie immer noch auf das Foto zeigt und weiterredet.
»Mum denkt, ich wär’s gewesen, aber ich war’s nicht.«
»Du wärst was gewesen?«
»Du weißt schon. Das .«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Oolie steht auf, wandert ins Wohnzimmer, nimmt die Fernbedienung und beginnt an den Tasten herumzuspielen.
Zu spät begreift Clara, wovon sie geredet hat. »Wer war es? Wer hat das Feuer gelegt?«
Doch Oolie hat angefangen, durch die Kanäle zu zappen.
»Ich war’s nicht, diese Jungs warn’s.«
»Welche Jungs? Bitte, sag es mir, Oolie. Du musst es mir sagen.«
Oolie zappt schneller und murmelt irgendwas vor sich hin.
»Mit mir kannst du reden, das weißt du. Ich bin deine beste Schwester. Ich sag es auch Doro und Marcus nicht, wenn du das nicht willst. Oolie?«
Aber Oolie schüttelt nur den Kopf in ihrer sturen Art, die Clara immer auf die Palme bringt. »Ich will sehn, ob Russell Brand im Fernsehn ist.«
Auf der A6182 wirbeln von den Herbststürmen abgerissene Blätter und Zweige über die Fahrbahn. Clara fährt vorsichtig, in Gedanken noch bei der Unterhaltung mit Oolie. Als sie zu Hause ist, versucht sie wieder, Serge zu erreichen.
Keine Antwort.
Wütend und neugierig schickt sie ihm eine SMS und eine E-Mail. Dann lädt sie Ida zu aufgewärmtem Risotto und einem Glas Wein ein, das sie vor dem Fernseher essen.
Bevor sie ins Bett geht, sieht sie noch mal in den Computer. Ihr Herz setzt einen Schlag aus. Nichts von Serge, aber eine E-Mail von Barbara.
Du kannst deinem arschgesichtigen Bruder ausrichten, dass ich das nächste Mal, wenn ich in London bin, bei ihm in der Bank vorbeikomme, und dann reiße ich ihm mit bloßen Händen die Eier ab und brate sie in Olivenöl mit Knoblauch und feingehackter Dactylorhiza purpurella.
Doro
Unterwäsche
Doro ist sich nicht sicher, ob die E-Mail von Malcolm Loxley wegen eines Treffens in der Kleingartensiedlung einen sexuellen Unterton hat oder nicht. Vielleicht will er sich einfach nur mit Bohnen und Grünzeug eindecken. Doch für alle Fälle geht sie am Samstagnachmittag in die Stadt, wo sie kurz verwundert innehält beim Anblick der Menschenschlange vor der Bausparkasse. Dann geht sie weiter zu Marks & Spencer.
Es ist ruhig hier – alle sind draußen, genießen den windigen, sonnigen Herbsttag oder schließen sich dem geschäftigen Treiben auf der Straße an. Im kühlen, neonbeleuchteten Innern des Kaufhauses stöbert Doro durch die Unterwäsche, lässt Satin und Spitze durch ihre Finger gleiten und fragt sich, was in sie gefahren ist. Ihr Körper fühlt sich merkwürdig lebendig und elastisch an, als wäre es möglich, allein durch Optimismus die schlaffen, aus der Form geratenen Stellen zu
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