Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
ihre verdammten Renten.«
»Ich habe Mathematik studiert ...«
»Genau. Warum soll ich dafür zahlen, dass das Kind von jemand anders zur Uni geht? Sollen sie doch selber dafür zahlen.«
»Ärzte und Krankenschwestern ...?«
»Nichts gegen Krankenschwestern, Freebie. Ich lasse nicht zu, dass irgendwer etwas Schlechtes über Krankenschwestern sagt. Das sind wahre Engel.« Plötzlich ist seine Stimme belegt, und seine Augen werden feucht. »Als unser Sohn Willy im Krankenhaus war ...«
»Wahre Engel. Schön gesagt, Chief Ken!« Tobys Stimme bebt vor geheuchelter Empathie. Vollkommen schamlos.
»Ich denke, größtes Problem in diese Land ist zu viel Steuer«, sagt Maroushka und dreht sich in Timos Stuhl. »In meinLand niemand zahlt Steuer. Ist freiwillig. Nur Rentner zahlen und Leute, die zu unintelligent sind, um nicht zu zahlen.«
Sie sieht so reizend aus in ihrem engen seegrauen Etuikleid, dass Serge sich fragt, ob er versuchen soll, sie zu einer aufgeklärteren Sicht zu bekehren, in Vorbereitung auf ein mögliches Treffen mit seinen Eltern, aber sie hat diesen strengen Blick in den Augen, mit dem man sich besser nicht anlegt. Außerdem würde sich ja niemand, der noch bei klarem Verstand ist, für höhere Steuern aussprechen.
Chicken dreht sich zu ihr um und verschlingt sie mit den Augen. »Absolut, Mary. Negative Anreize. Wenn die Steuern noch höher werden, hör ich lieber ganz zu arbeiten auf. Werde selber ein Faulenzer. Lass mir Stütze zahlen.« Er kichert. »Das Problem ist, da draußen gibt’s jede Menge ignorante Bürokraten, die keine Ahnung von der City und dem Bonussystem haben, aber glauben, sie könnten es regulieren. Wie dieser Scheißkerl Adair Turner von der FSA, der behauptet, was wir tun, hätte keinen Nutzen für die Gesellschaft. Dem würde ich gern mal in den Arsch treten! Grrr!« Er dreht den Kopf zur Seite und schnappt mit weißen spitzen Zähnen in die Luft. »Wir sind die größte Wachstumsindustrie dieses Landes. Wir schaffen Reichtum. Wir schaffen Arbeitsplätze für Tausende. Unsere Angestellten zahlen Steuern. Was daran, bitte, hat keinen gesellschaftlichen Nutzen?«
Serge sagt nichts, denn er hat gelegentlich ähnliche Gedanken gehegt wie die ignoranten Bürokraten. Hat Doro nicht neulich in die gleiche Kerbe gehauen? Irgendwas im Zusammenhang mit Hundekacke. Andererseits, wenn man drüber nachdenkt, haben ziemlich viele schöne Dinge keinen gesellschaftlichen Nutzen – Bananensplit, Parfum, Schulterpolster, Bummeln, um nur ein paar zu nennen.
»Wo wir gerade vom gesellschaftlichen Nutzen sprechen«, Chicken wirft einen Blick auf seine Rolex und steht auf. »Ich muss noch zu einem anderen Meeting. Am elften Loch.«Mittags nimmt Maroushka ihr passendes seegraues Jackett und verschwindet, bevor Serge ihr folgen kann. Er erträgt die Cafeteria jetzt nicht, also geht er zu Franco’s, halb in der Hoffnung, Jonas zu sehen, aber es ist nur die mürrische Barfrau da. Die Küche bei Franco’s ist italienisch-hochklassig, serviert in angeberisch kleinen Arrangements auf riesigen quadratischen Tellern. Als er den Blick über die Karte wandern lässt, überkommt ihn plötzlich Appetit auf Lammkotelett mit Pommes frites und Daddies Brown Sauce. Stattdessen entscheidet er sich für Agnolotti alla zucca, setzt sich in eine Ecke, holt das Telefon raus und ruft seinen Broker an.
Er hat immer noch offene Positionen auf mehrere Aktien, und der Index ist unter 4000 gerutscht. Allein gestern ist er um 325 Punkte gefallen, der größte Absturz der letzten fünf Jahre. Er kauft die Hälfte seiner Endon-Aktien zurück, die, schätzt er, ihren Tiefststand erreicht haben, aber er hält die Edenthorpe-Engineering-Anteile in Erwartung weiterer Kursverluste. Dann bestellt er einen doppelten Espresso.
Während er wartet, klingelt das Telefon in seiner Hand. Es ist Clara. Er drückt sie weg, aber sie versucht es gleich noch mal, und so ergibt er sich dem Unvermeidbaren.
»Hi, Clara. Schön, von dir zu hören. Wie läuft’s so?«
»Na endlich. Hör zu, du kleines Frettchen, ich habe mit Babs gesprochen. Sie sagt, du bist überhaupt nicht mehr in Cambridge.«
»Ich ... ich arbeite an einem Projekt mit einem Team vom Imperial College ...«
»Reite dich nicht noch tiefer in die Scheiße, Serge. Hör einfach zu. Aus reiner Herzensgüte gebe ich dir Zeit bis Ende nächster Woche, es Doro und Marcus selbst zu sagen. Du hast sie die ganze Zeit angelogen, stimmt’s?«
Das Schlimmste ist die
Weitere Kostenlose Bücher