Die Wesen (German Edition)
gemacht. Ich habe zuerst meinen Geist befreit, bis ich nichts mehr gedacht habe. Dann habe ich verschiedene Worte wie Glück, Gesundheit, Wohlergehen, Dank und Demut visualisiert. Nichts weiter. Neben der Wirkung der Kräuter, die selbst wie Worte an den Körper funktionieren, habe ich damit zusätzlich etwas hineingegeben. Jetzt werde ich das Sieb herausnehmen.“
Die Kräuter lagen immer noch in ihrer wunderschönen Formation auf dem Wasser. Gompa zog das Sieb heraus und fing so das Muster auf ihm ein.
„Jetzt werde ich es über dem Ofen trocknen. Wenn es fertig ist, werden wir aufbrechen!“
„Ich werde auch einige Vorsichtsmaßnahmen treffen“, sagte von Stein. „Ich trage schließlich die Verantwortung für uns alle.“
„Ich kann selber auf mich aufpassen“, sagte Sam.
„Mit diesen Energien ist nicht zu spaßen“, sagte von Stein. „Ich habe hier für jeden ein Auramessgerät.“
Er hielt ein kleines quadratisches Gerät zwischen Daumen und Zeigefinger.
„Das Aurometer“, er schaltete es ein, „misst ihre Vitalenergie. Sollten sie keine direkten Beschwerden haben, so können sie trotzdem ablesen, wie hoch ihre Lebensenergie noch ist. Fällt die Anzeige rapide ab, besteht Lebensgefahr.“
„Wie meint er das mit ‚rapide’?“, flüsterte Sam.
„Schnell. Sinkt die Anzeige zu schnell, bist du gleich tot“, zischte Slinkssons.
„Es ist möglich, dass sie die Beschwerden nicht sofort bemerken. Wenn das Aurometer in den roten Bereich fällt, gibt es zusätzlich ein akustisches Signal ab. Das sollte sie alarmieren, die Höhle zu verlassen, wenn sie noch können. Gompa hat uns bereits gesagt, dass es tödlich enden kann. Wenn also einer von ihnen Beschwerden hat, müssen die Andren ihm sofort helfen!“
„Das Einflößen der Mischung, die ich hier vorbereitet habe“, sagte Gompa, „kann in schlimmen Fällen sofort helfen.“
Er nahm das trockene Sieb vom Ofen und zog vorsichtig die dünne Kräuterschicht vom Netz. Er hielt sie gegen das Licht. Laima sah die kaleidoskopartige Schönheit, die in das Papier übergegangen war.
„Reißen sie ein Stück ab. Nehmen sie nicht alles auf einmal, falls sie es später noch brauchen“, mahnte er.
„Gerold“, sagte Professor Carlsen, „ich fühle mich zu alt, um weiter den Berg hinaufzusteigen. Ich werde mich hier unten hinlegen und warten, bis sie wiederkommen.“
„Wenn sie meinen, Professor, dann ruhen sie sich aus. Die Expedition war ja bis hier her auch anstrengend genug.“
„Laima, meine Liebe“, sagte der Professor und nahm ihre Hand, „sie werden auch ohne mich die Sache zu Ende bringen. Professor Bersinsch wäre stolz auf sie. Unsre Gedanken werden sie auf ihrem Weg begleiten. Ich merke, dass es an der Zeit ist, der jungen Generation Platz zu machen.“
„Gut, Professor, ich werde mein Bestes geben.“
„Davon bin ich überzeugt“, sagte er und verschwand in einer der hinteren Kammern.
Sie hatten draußen alles ausgebreitet und packten nur das zusammen, was sie wirklich brauchen würden. Es war ein heilloses Durcheinander. Von Stein war so aufgeregt, dass er alle andren mit ansteckte. Schließlich waren sie soweit, bereit zur Höhle des Samadhi vorzustoßen. Lhatsen war zwischendurch verschwunden, tauchte dann aber wieder auf, als alle bereits auf ihn warteten.
„Los gehts“, sagte er.
Sie folgten einem schmalen Vorsprung, der unter den überhängenden Felsen am Berg entlang führte.
Auch Laima war besonders aufgeregt. Sie dachte daran, was Professor Bersinsch ihr erzählt hatte. Sie dachte an die Quelle aller Weisheit, die der Glasberg in der lettischen Mythologie darstellte. Sie war so aufgeregt, endlich zu erleben, wie sich ein Mythos vor ihren Augen in einen realen Ort verwandelte. Einen Ort, den sie jetzt betreten würden.
„Die einzelnen Schichten des Berges laufen genau parallel zum Horizont. Ist so etwas normal?“, fragte Slinkssons von Stein.
„Diese Art der Verwerfung ist in der Tat, geologisch gesehen, außergewöhnlich!“
„Es mutet schon fast wie die Schichten einer Pyramide an“, sagte Slinkssons.
„Sie meinen, es könnte künstlich geschaffen worden sein?“
„Wer weiß? Bei dem, was wir die letzten Tage erlebt haben, ist alles denkbar.“
„Wer sollte denn etwas von diesen Ausmaßen erschaffen können?“, sagte Schüssli skeptisch.
„Wer ist eigentlich dieser Samadhi?“, fragte Slinkssons.
„Eigentlich ist es ein Zustand“, sagte von Stein. „So weit ich
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