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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
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war.
    Ein Mann kam ihnen zur Hilfe.
    „Das ist Gompa, mein Vater“, sagte Lhatsen. „Schnell Vater, sie hat das Wasser des Rakshastals im Leib. Das schwarze Gift kommt bereits aus ihrem Bauch.“
    „Bringt sie schnell herein!“, sagte Gompa.
    Sie trugen Laima durch den Hauptraum der Einsiedelei in ein kleines Nebenzimmer. Laima hörte nur einen Ofen knistern und spürte die Wärme.
    „Hierher“, sagte Gompa und sie legten Laima auf ein Bett.
    Er suchte etwas auf einem Regal. Zwischen unterschiedlichen Fläschchen und Gläsern standen Bündel von Kräutern.
    „Wo habe ich es nur? Es ist lange her, dass ich es gebraucht habe.“
    „Wie kommt es, dass sie unsre Sprache so gut beherrschen?“, fragte von Stein.
    „Wir haben studiert“, sagte Lhatsen. „Nicht nur die Veden, sondern auch an der Universität.“
    „Ah, da haben wir es ja“, sagte Gompa und hielt ein kleines Glas gegen das Licht.
    Er nahm eine Tasse und die Kanne mit heißem Wasser vom Ofen und goss das Pulver auf. Es zischte, als ob eine Reaktion stattgefunden hätte. Er stellte die Tasse vor sich auf den Boden, hielt seine Hand darüber und murmelte mit geschlossenen Augen ein paar Worte.
    Laima fühlte sich schlecht. Sie glaubte, das Bewusstsein zu verlieren. Vielleicht starb sie auch. Sie wusste nicht, wie sich Sterben anfühlte.
    Sie nahm wahr, wie Lhatsen ihre Hand hielt. Sie öffnete die Augen und sah, dass er lächelte.
    Gompa nahm die Tasse und blies hinein.
    „Wozu blasen sie auf die Tasse?“, fragte Sam. „Ist das schon wieder irgendein Ritual? Alles in diesem Land wird nur mit Hokuspokus gemacht!“
    „Dann kühlt der Tee schneller ab“, sagte Gompa und lächelte. „Ich glaube, dass macht man überall auf der Welt so.“
    „Ach so, ja.“
    Gompa flößte Laima langsam die Medizin ein, während Lhatsen ihren Kopf hielt. Sie hörte, wie er leise flüsterte: „Trink, Laima! Trink!“
    Dann schlief sie ein.
     
    Es war ein unruhiger Schlaf. Bilder stiegen in ihr auf. Das Gesicht des toten Thian glitt vorüber. Professor Bersinsch. Ihre Mutter im Krankenhaus, leblos auf dem weißen Bett. Sie spürte, wie ihre Hand ihr über die Stirn strich. So, wie sie es schon immer getan hatte, seit Laima ein kleines Mädchen gewesen war.
    Ihr wurde heiß. Überall heiße Lava. Sie stürzte rücklings hinein. Die Schmerzen waren unbeschreiblich. Es war, als zerkochten ihre Eingeweide, als platzten ihre Adern.
    Dann war es ruhig. Sie war unter der Erde. Sie hörte die Schafe und Pferde, wie sie mit den Hufen scharrten, und versuchten an die Oberfläche zu kommen. Wie sie nach Luft schnappten wie Laima.
     
    Ein Licht in der Ferne. Es war warm. Angenehm. Sie wusste nicht, ob das Licht auf sie oder sie auf das Licht zukam. Sie näherten sich einander. Es war, als wären sie nie getrennt gewesen.
    Dann verschwand es.
    Sie spürte die sanfte Hand auf ihrer Stirn.
    Als sie die Augen öffnete, sah sie in Lhatsens lächelndes Gesicht. Die Berührung seiner Hand war angenehm. Er tupfte mit einem warmen Tuch ihre Stirn. Dann legte er das Tuch zur Seite und streichelte ihr Haar. Laima schloss die Augen.
    Sie erinnerte sich an die letzten Worte, die sie vernommen hatte: „Trink, Laima! Trink!“
    Sie schlug, von einer ungewissen Aufregung ergriffen, die Augen auf.
    „Woher wusstest du, wie ich heiße?“, sagte Laima und sah ihn fest an. „Niemand hat in deiner Gegenwart meinen Namen erwähnt. Du konntest ihn gar nicht wissen!“
    „Du hast mir doch geschrieben.“
    „Ich dir geschrieben? Wann denn?“
    „Du hast mir E-Mails geschrieben.“
    Ihr wurde heiß und kalt. Ihr ganzer Körper begann, vor Aufregung zu zittern.
    Wem hatte sie geschrieben? Niemandem außer ...
    „Du bist Chang?“
    Er nickte. Ihr Herz machte ein Sprung.
    „Meine Mutter war Chinesin. Deswegen habe ich zwei Namen. Und als du mir geschrieben hast, dass du zum Kailash aufgebrochen warst, musste ich auch kommen.“
    Sie richtete sich auf und fiel ihm in die Arme. Sie weinte.
    Die Angst, die Trauer, die Anspannung. Alles fiel von ihr ab. Sie weinte vor Glück. Sie vergrub ihr Gesicht tief in Lhatsen.
     
    Sie fühlte Glück. Reines Glück. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so gut gefühlt. Alles war richtig. Sie war hier. Hier, am schönsten Platz im Universum. Der einzig wahre Ort. Er war es. Er war ihr Zentrum des Universums. Sie drückte Lhatsen so fest an sich, dass sie selbst keine Luft mehr bekam.
    Sie wischte sich die Freudentränen ab. Sie spürte seinen Atem auf

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