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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
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Augenfarbe erkennen konnte.
    Er sah, wie sich von der Seite das Augenlid über seiner Pupille schloss. Als es sich öffnete, gefror ihm das Blut in den Adern. Die Pupille hatte sich inmitten einer gelben Iris zu einem schmalen, spitz zulaufenden Schlitz geformt. Ein Blinzeln und alles war verschwunden, wie ein böser Traum.
    „Sie sind der Teufel“, flüsterte die kniende Gestalt. Der Dolch schwebte über ihm in der Luft.
    „Dann sehen wir uns ja gleich wieder“, sagte der Zeremonienmeister und lachte laut auf, „ – in der Hölle!“
    Die Klinge schlug durch den weißen Hals. Das Blut sprudelte.
    Wie versteinert musste Figaro Slinkssons alles mit ansehen. Das dunkle Blut aus der Kehle des zuckenden Opfers wurde im Kelch aufgefangen. Dann trennte der Zeremonienmeister mit schnellen Schnitten Teile des Fleisches ab und warf sie in die Dunkelheit des Sumpfes. Augenblicklich peitschten die ledrigen Leiber der Alligatoren das schlammige Wasser auf. Die schuppigen Körper drehten und wanden sich, um ein Stück blutiges Fleisch zu ergattern.
    Ihre schmalen gelben Augen blitzten im Schein des Feuers auf.
    Intuitiv richtete Figaro Slinkssons seine Kamera in das Dunkel hinter sich. Der Restlichtverstärker sprang an. Der Alligator lag keine zwei Schritte von ihm entfernt unterhalb der Wasseroberfläche. Er bewegte sich langsam gleitend auf Figaro zu. Vor Schreck stieß er mit dem Richtmikrofon gegen einen Baum und löste ein ohrenbetäubend schrilles Geräusch aus. Er kam nicht mehr dazu, sich den Kopfhörer herunterzureißen. Das Reptil schoss mit aufgerissenem Maul aus dem Wasser. Die Wucht des massigen Tieres warf ihn fast um. Gerade noch konnte er den messerscharfen Zähnen ausweichen. Er rammte das Stativ in den Rachen des Alligators, so tief er nur konnte. Sobald das Tier etwas zwischen seinen Kiefern spürte, schnappte es zu und drehte sich instinktiv wild um die eigene Achse, um ein Stück aus seinem Opfer zu reißen.
    „Offenbar haben wir heute Abend noch einen Gast, der gern Teil unsrer Party werden möchte“, hörte Figaro Slinkssons in seinem Kopfhörer. „Er wird uns eine willkommene Abrundung des Festmahls sein. – Holt ihn euch!“
     
     
     

4
     
    Die zwei Killer wollten Laima und ihrem Vater den Weg abschneiden. Sie versuchten, sich zwischen sie und die Sicherheitskontrolle zu drängen, gerieten aber in eine Reisegruppe mit Koffern und Trolleys. Fluchend versuchten die Männer, sich durch sie hindurchzukämpfen.
    Eine Beamtin winkte Laima direkt zur Kontrolle in einen Nebenraum. Nachdem sie das Gesicht im Pass mit dem unter der Burka abgeglichen hatte, kam Laima auf der andren Seite wieder heraus. Die zwei Männer waren verschwunden.
    „Pass auf dich auf“, sagte ihr Vater über die Absperrung hinweg. „Und mach dir um mich keine Sorgen.“
    „Kümmere dich um Mama! Und vergiss nicht, die Katzen zu füttern“, waren ihre letzten Worte.
    Die Beamtin schüttelte nur verwirrt den Kopf.
     
    Die erste Klasse im Flugzeug war, bis auf eine alte Dame, leer. Sie rümpfte die Nase, als Laima sich in der Burka neben sie setzte.
    Nachdem das Flugzeug gestartet war, ging Laima auf die Toilette, um ihre Verkleidung loszuwerden.
    Als sie wiederkam, sagte die alte Dame: „Setzen sie sich ruhig. Diese Ausländer sollen bloß woanders hin. Pfui, sowas. Und wie die stinken.“
    „La schemm el a schemm“, sagte Laima in ihrem besten Arabisch.
     
    Ihr Blick glitt über die Wolken. Hier oben war alles so schön. So friedlich. Warum konnte es nicht immer so sein? Sie dachte an Chang.
    Warum er ihr einfiel, wusste sie selbst nicht. Sie versuchte sich vorzustellen, wie er aussah. Warum hatten sie sich nie ein Foto geschickt? Aus Angst vor Enttäuschung? Dass er sie nicht hübsch finden würde? Oder dass er völlig unansehnlich war? Hatte sie sich wirklich solche Gedanken gemacht? Sie war doch die ganze Zeit mit Tooms zusammen.
    Chang war ihr immer nah gewesen, obwohl er Tausende Kilometer weit weg wohnte. Sie hatten sich in einem Blog kennengelernt und anfangs über Religionen geschrieben. Wo sie sich ähnelten und wo sie sich unterschieden. Dann hatten sie stundenlang, über Monate hinweg gechattet. Sie hatten sich ihr Leben erzählt. Eigentlich hatte mehr sie erzählt. Es gefiel ihr. Noch nie hatte sie jemanden gefunden, der ihr wirklich zuhörte. Über ihn wusste sie nicht viel. Außer dass er in Peking studierte. Dennoch fühlte es sich immer gut an. Vertraut. Mittlerweile beschränkte sich ihr Kontakt auf

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