Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Lux
Vom Netzwerk:
mit oder ohne Trance eine qualvolle Sache zu sein“, sagte Professor Carlsen.
    Die Menge schrie auf, als die Haut unter dem Druck der Klinge nachgab und ins Fleisch fuhr. Dann versuchte der Fakir die Spitze weiter durch die obere Hautschicht der Zunge zu stoßen, was ihm nicht gelingen wollte. Man sah deutlich, dass er kein vorgefertigtes Loch in der Zunge hatte, sondern die Haut sich unter dem Druck der Schwertspitze nach oben wölbte, bis sie schließlich riss. Die Klinge des Schwerts stach hervor und die Menge jubelte und klatschte Beifall. Es blutete nicht mal.
    Der Fakir verbeugte sich leicht unter den Ovationen und mit einem letzten Ruck zog er das Schwert wieder heraus und steckte sich die Zunge zurück in den Mund.
    „Wow, wenn das nicht echt war“, sagte Sam, „dann fress ich nen Besen.“
    „Vorsicht, Vorsicht, das gibt böse Koliken“, sagte Slinkssons.
    „Dann wette ich eben fünfzig Dollar, dass das kein Trick war, Mr. Figaro Slinkssons“, sagte Sam kampflustig.
    „Auf jeden Fall besser, als einen Besen zu essen. Abgemacht!“
    Sie schlugen beide ein und die Wette galt.
    Figaro Slinkssons ging zu dem Fakir, der gerade seine Vorstellung beendet hatte, Sam hinterher.
    Sie winkten den anderen, ihnen zu folgen, als sie um eine Ecke verschwanden. Laima und der Rest holten sie gerade ein, als Slinkssons dem Fakir fünfzig Dollar hinhielt.
    „Es ist eine Ziegenzunge“, sagte der Fakir und holte das Exemplar, das er für die Vorstellung benutzt hatte unter seinem Lendenschurz hervor. „Ich lege sie mir, kurz bevor das Schwert kommt, in den Mund. Dann ziehe ich sie mit einer Hand heraus und halte den hinteren Teil mit den Zähnen fest. Dass es nicht blutet, macht es nur noch echter. Alle erwarten das doch von einem Fakir.“
    Er schnappte sich den Schein aus Figaro Slinkssons Hand.
    „Und woher wussten sie es?“, fragte der Fakir Slinkssons.
    „Berufserfahrung. Ich hatte so ein Gefühl.“
    „Vielen Dank, Sir. Beehren sie mich bald wieder.“
    Sam sah aus, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Die andren waren überrascht und grinsten.
    „Nimms nicht so schwer“, sagte er zu Sam und legte ihm den Arm auf die Schulter. „Sieh dir die armen Andren an.“
    Er deutete auf einen jungen Mann, der offenbar gut betucht war und gebannt das Schauspiel des schwarzen Magiers verfolgte. Ein junges Mädchen zog ihm gerade den Geldbeutel aus der Hosentasche.
    „Und der dort“, ein kleiner Junge stahl einem älteren Mann ein dickes Bündel gerollter Scheine aus der Tasche. „Das ist der größte Trick an diesem Platz. Ich wette, sie teilen alle den Gewinn. Du hast nur fünfzig Dollar verloren. Und das bei einer fairen Wette.“
    Sam fasste sich hektisch an die Hose.
    „Mein Geld ist noch da“, sagte er dann erleichtert.
    „Ich weiß. Ich hatte ja die ganze Zeit ein Auge drauf. Trotzdem hätte ich jetzt gerne meine fünfzig Dollar.“
     
    Kurz nachdem sie den Platz verlassen hatten, kam eine Horde Kinder und umringte sie.
    „Dollar, Dollar“, riefen sie und streckten ihre Hände aus. Dazu machten sie mitleiderregende Gesichter, zogen und zerrten an ihnen herum. Von Stein gab jedem einen Dollarschein, aber weder mit freundlichen Bitten noch mit strengen Worten ließen sie sich abwimmeln. Als von Stein schließlich Münzen in die Luft warf, gingen nur zwei die Münzen auflesen. Die andren blieben an ihnen dran.
    Da trat ein alter Mann mit weißem Bart und Farbe im Gesicht vor sie auf die Straße.
    „Was ist das für ein geschminkter Typ?“, fragte Sam.
    „Ein Sadhu“, sagte von Stein, „ein heiliger Mann.“
    „Ich könnte ihnen helfen“, sagte er, „diese Plagegeister loszuwerden. Für ein kleines Entgelt.“
    „Wer sagt denn, dass sie uns die Plage nicht erst auf den Hals gehetzt haben“, rief Slinkssons ihm trotzig entgegen.
    „Dafür bekommen sie auch eine Tempelführung“, sagte der Sadhu und strich sich sein verfilztes Haar aus der rotweiß bemalten Stirn.
    „Seis drum“, sagte von Stein und drückte dem Sadhu zwanzig Dollar in die Hand. Daraufhin schrie er etwas ziemlich Unfreundliches und die Kinder sprangen zu allen Seiten davon.
    „Folgen sie mir“, sagte er. „Ich bringe sie zum Affentempel.“
     
    Nach wenigen Minuten erreichten sie einen vom Monsun überfluteten Hof, in dem die Kinder, die sie gerade gesehen hatten, im knietiefen Wasser Fußball spielten. Sie passierten ihn über einen kleinen Damm und verließen bald das Gewirr der engen Gassen, bis sie am Fuße eines

Weitere Kostenlose Bücher