Die Wesen (German Edition)
Feuer nicht ausgeht.“
„Das sieht aus, als suchen die etwas in der Asche“, sagte Professor Carlsen.
„Reiche Familie, wie sie sehen. Die Toten werden mit viel Schmuck verbrannt. Die Helfer helfen, dass das Feuer immer gut brennt, und finden gleichzeitig ihre Belohnung.“
„Geschäft ist Geschäft“, sagte Figaro Slinkssons.
Der Sadhu nickte.
Der Geruch von verbrannten Haaren und Knochen lag in der Luft.
„Da“, Sam wirkte etwas fassungslos, „der baut doch nicht etwa einen Grill neben der Leiche auf, oder?“
„Tatsächlich“, rief von Stein.
„Die Leute haben Hunger und wollen essen“, erklärte der Sadhu. „Traditionell Würstchen.“
Schüssli musste sich erneut übergeben.
„Empfindlicher Magen, ihr Freund“, sagte der Sadhu.
„Schwache Nerven“, sagte Sam. „Aber ich muss zugeben, mir wird auch anders.“
Sie stiegen unweit des Krematoriums in Taxis. Von Stein gab dem Sadhu noch einmal zwanzig Dollar.
„Für die Kinder!“
Der Sadhu lächelte: „Für die Kinder!“
Dieses Mal kamen sie schnell auf der großen Ringstraße voran und waren bald am Flughafen. Der Flieger war bereits aufgetankt und es konnte gleich weitergehen.
„Puh“, sagte von Stein, als der Jet abgehoben hatte, „wer will jetzt etwas zum Mittagessen?“
Verhalten gemurmelte Ablehnung und blasse Gesichter waren die Antwort.
„Vielleicht einen Tee“, sagte Laima und einige der anderen schlossen sich ebenfalls an.
„Ich nehme einen Whiskey“, sagte Professor Carlsen. „Das reinigt und desinfiziert. Und ich muss es ja schließlich wissen, als Mediziner.“
Nachdem Tee und Whiskey ausgeschenkt waren, meldete sich der Kapitän über die Bordlautsprecher.
„In Kürze werden wir Lukla erreichen. Versäumen sie nicht, einen Blick auf den höchsten Berg der Welt zu werfen. Die Wetterbedingungen haben sich leider etwas verschlechtert. Die Landebahn am Fuße des Everest ist ebenfalls einmalig, denn sie gilt als eine der größten Herausforderungen für Piloten, die es weltweit gibt. Ich wünsche ihnen weiterhin einen guten Flug.“
„Klingt so, als stellt er jetzt auf Autopilot und springt mit dem Fallschirm ab“, sagte Sam ‚The Rock’ Jackson.
Die ersten Turbulenzen machten sich bemerkbar.
„Bitte schnallen sie sich an“, ertönte erneut die Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern.
„Lukla gilt als die gefährlichste Landebahn der Welt“, sagte Figaro Slinkssons.
„Ich glaube, das wollte er uns damit sagen“, sagte Laima und schloss den Sicherheitsgurt.
Schüssli hatte wieder eine ungesunde Gesichtsfarbe. Er tat Laima ein bisschen leid. Sie hatte bemerkt, dass er sich nie ans Fenster setzte, um jeden Blick in die Tiefe zu vermeiden. Und nach dieser Ansage schien er gerade zu bereuen, jemals in die Expedition eingewilligt zu haben.
„In den Bergen kommt es leicht zu Wetterumschwüngen und Luftlöchern. Wenn wir zu tief fliegen oder vorher in einem Luftloch absacken, zerschellen wir am Berg. Vor der Landebahn geht es sechshundert Meter steil in die Tiefe. Wenn wir zu hoch fliegen beim Auf-die-Piste-treffen, wird sie zu kurz, um zu bremsen. Das kommt dann aufs Gleiche raus, nur dass wir etwas weiter oben auf dem Fels zerschlagen. Landung oder Absturz ist dann eins“, sagte Slinkssons.
„Ich durfte ja bereits ausgiebig in den Genuss ihres Optimismus kommen“, sagte Professor Carlsen, „aber auf dieser Reise, mein Lieber, übertreffen sie sich wirklich selbst.“
Er klang dabei wenig freundlich und auch ihm sah man an, dass er trotz des Whiskeys recht blass war.
Laima dachte an den Traum, den sie letzte Nacht gehabt hatte. War das Meer, auf das sie zugerast war, eine Vorahnung gewesen?
Der Jet schwankte und sank abrupt in die Tiefe. Es fühlte sich an, als hätten sie den Halt in der Luft verloren. Als fielen sie wie ein Stein, ohne etwas dagegen machen zu können. Ein ziehendes Kribbeln breitete sich in Laimas Bauch aus. Sie hatte dieses Kitzeln immer geliebt. Aber jetzt verband sie es mit einem völlig neuen, existenziellen Gefühl. Sie wollte nur heil aus dieser Sache heraus. Sie wollte überleben.
„Nun haben sie zu ihrer Linken die Möglichkeit, einen Blick auf diesen beeindruckenden Berg zu werfen, der bereits so vielen Menschen das Leben gekostet hat“, meldete sich die Stimme des Piloten aus den Lautsprechern.
„Vielleicht bald auch uns“, sagte Slinkssons. Er schien diesmal mit seinem Witz die eigene Angst überspielen zu wollen.
Das Flugzeug vibrierte.
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