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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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auch nur
ein Halbmann bin. Auf einer tiefen Ebene verstehen wir einander, auch
wenn er wahnsinnig ist und ich geistig gesund bin. Es besteht sogar
jene Verbindung zwischen uns, an die ich bis vor kurzem nicht gedacht
habe, die jedoch möglicherweise irgendwann von Nutzen sein
könnte: Wir haben beide getötet und dazu jeweils unseren
Kopf benutzt.
    In diesem Moment ging mir auf, wie schon so oft zuvor, daß
das die eigentliche Bestimmung der Männer ist. Beide
Geschlechter haben jeweils eine spezielle Begabung: Frauen
können gebären, und Männer können töten. Wir
– ich betrachte mich als einen Mann ehrenhalber – sind das
härtere Geschlecht. Wir schlagen aus, dringen ein, stoßen
vor und nehmen uns, was wir brauchen. Die Tatsache, daß es nur
Analogien zu den mit dieser Terminologie aus dem Sexualbereich
bezeichneten Handlungen sind, die ich zustande bringe, entmutigt mich
nicht. Ich spüre es in den Knochen, in meinen unkastrierten
Gliedern. Eric muß darauf reagieren.
    Es wurde elf Uhr, dann kam Mitternacht, und das Zeitsignal
ertönte, also drehte ich das Radio ab und schlief ein.

 
8
DIE WESPENFABRIK
     
     
    Im frühen Morgen, als mein Vater noch schlief und das kalte
Licht durch den dichten Schleier junger Wolken hereinfiel, stand ich
leise auf, wusch und rasierte mich sorgfältig, ging in mein
Zimmer zurück, zog mich langsam an, dann nahm ich das Glas mit
der verschlafen wirkenden Wespe mit hinauf zum Dachboden, wo die
Fabrik wartete.
    Ich stellte das Glas auf dem kleinen Tisch unter dem Fenster ab
und erledigte die letzten wenigen Vorbereitungen, derer die Fabrik
noch bedurfte. Nachdem das getan war, nahm ich etwas von der
geleeartigen grünen Reinigungspaste aus einem Topf neben dem
Tischchen und rieb mir gründlich die Hände damit ein. Mein
Blick fiel auf die Tabellen über Zeit, Gezeiten und
Entfernungen, das kleine rote Buch, das ich auf der anderen Seite des
Tischs aufbewahrte, und ich notierte die Zeit der Flut. Ich stellte
die beiden kleinen Wespenkerzen an die Stellen, die die Zeigerspitzen
einer Uhr an der Fassade der Fabrik eingenommen hätten, wenn sie
die Zeit der örtlichen Flut angezeigt hätten, dann hob ich
den Deckel leicht von dem Glas und zog die Blätter und das
kleine Stück Orangenschale heraus, so daß die Wespe nur
noch allein drin blieb.
    Ich stellte das Glas auf das Tischchen, das mit verschiedenen
machtvollen Dingen dekoriert war: dem Schädel der Schlange, die
Blyth getötet hatte (von seinem Vater niedergemacht und mit
einem Gartenspaten in zwei Hälften gespalten – ich hatte
sie aus dem Gras geborgen und ihren vorderen Teil im Sand versteckt,
bevor Diggs sie als Beweismittel mitnehmen konnte), einem
Bruchstück der Bombe, die Paul vernichtet hatte (das kleinste,
das ich finden konnte, es gab mengenweise davon), einem Stück
von dem Zeltstoff, aus dem der Drachen hergestellt worden war, der
Esmeralda durch die Luft davongetragen hatte (natürlich kein
Stück von dem Drachen selbst, sondern ein beim Zuschneiden
abgefallener Schnipsel) und einer kleinen Schüssel mit einigen
der abgenutzten gelben Zähne des Alten Saul (die sich leicht
hatten herausziehen lassen).
    Ich legte mir die Hand zwischen die Beine, schloß die Augen
und wiederholte meinen geheimen Katechismus. Ich konnte ihn auswendig
herunterleiern, doch ich bemühte mich, an die Bedeutung der
Worte zu denken, während ich sie wiederholte. Es waren meine
Bekenntnisse, meine Träume und Hoffnungen, meine Ängste und
mein Haß, und ich zittere immer noch, wenn ich sie aufsage,
auswendig geleiert oder nicht. Wenn ein Tonband in der Nähe
gestanden hätte, dann wäre die entsetzliche Wahrheit
über meine drei Mordtaten herausgekommen. Schon aus diesem Grund
ist die Sache sehr gefährlich. Der Katechismus verrät
darüber hinaus die Wahrheit darüber, wer ich bin, was ich
will und was ich fühle, und es kann großes Unbehagen
verursachen, wenn man sich selbst beschreiben hört, wie man in
den Momenten größter Ehrlichkeit und Demut über sich
selbst gedacht hat, ebenso wie es erniedrigend ist zu hören, was
man in einer hoffnungsvollen und unrealistisch überschwenglichen
Stimmung über sich selbst gedacht hat.
    Nachdem ich das hinter mich gebracht hatte, hielt ich das Glas mit
der Wespe ohne weiteres Aufhebens an die Unterseite der Fabrik und
ließ sie hineinkrabbeln.
     
    Die Wespenfabrik bedeckt ein Gebiet von mehreren Quadratmetern in
einem unregelmäßigen und ziemlich chaotischen
Durcheinander von Metall,

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