Die widerspenstige Braut (German Edition)
einen dieser Küsse will ich jetzt gleich.«
Sie richtete sich auf und sah ihn abweisend an. »Wir sind noch nicht in Essex.«
»Ich habe nicht gesagt, dass wir bis Essex warten würden. Sie können bestimmt schon heute einen entbehren. Dieses Wiedersehen hat mich nicht gerade in gute Laune versetzt. Und Sie sind bestimmt klug genug, um zu wissen, dass ich diesem Plan nicht zustimmen musste, sondern im Gegenteil noch viel mehr als einen Kuss verlangen könnte, wenn ich wollte.«
Da war es wieder, diese offene Demonstration seiner Rechte und ihrer Machtlosigkeit. Unwillkürlich durchströmte sie eine altbekannte Angst. So würde es wahrscheinlich immer sein. Eine Frau sollte zumindest gewillt sein und ein gewisses Verständnis ihrer Situation haben, bevor sie der vollkommenen Autorität und den Launen eines Mannes unterstellt wurde.
Sie unterdrückte sowohl die Angst als auch die Empörung, die diese neuerdings begleitete. Er hatte ihr keinen Anlass gegeben, so zu reagieren. Es wäre in der Tat für keinen Mann eine erfreuliche Wiederbegegnung gewesen oder eine Situation, die einem Mann geschmeichelt hätte. Und doch war Lord Hawkeswell bei diesem Hausbesuch entgegenkommender gewesen, als er es hätte sein müssen.
»Sie haben recht. Ein Kuss heute ist das Mindeste, was ich tun kann, um mich für die Zurückhaltung zu bedanken, die Sie mir versprochen haben.«
Er schien das amüsant zu finden, aber vielleicht nicht auf eine gute Weise. Er kam ganz nah an sie heran und hob mit einer entschiedenen Fingerbewegung ihr Kinn. Der Kontakt fühlte sich seltsam an und auch ein wenig gefährlich. Sie war es nicht gewohnt, von einem Mann berührt zu werden, Haut an Haut, nicht mal auf diese simple Art.
Er sah sie so intensiv an, dass sie sich unwohl zu fühlen begann. Sie schloss die Augen, wappnete sich und bereitete sich innerlich darauf vor, sich nach einer kurzen Berührung ihrer Lippen schnell zurückziehen zu können.
»Haben Sie schon einmal zuvor geküsst?«, fragte er.
»Vor Jahren, als ich ein junges Mädchen war.« Ein vager Erinnerungsfetzen schoss ihr durch den Kopf. Sie sah Michael Bowmans schiefes Lächeln vor diesem ersten Kuss. Ein tiefer Schmerz ergriff ihr Herz.
»Vor wie vielen Jahren?«
»Vor sechs, denke ich. Warum fragen Sie?«
»Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass Sie nicht vor mir davon-, sondern zu einem anderen hingelaufen sind.«
Er gab ihr keine Gelegenheit, um zu antworten. Er neigte seinen Kopf und berührte ihre Lippen.
Sie hatte keine Erinnerung mehr an den körperlichen Teil dieses ersten mädchenhaften Kusses, abgesehen davon, dass er sie zum Kichern gebracht hatte. Er hatte sie keinesfalls auf die seltsame Intimität vorbereitet, die sie jetzt verspürte, und auf die Art, wie Hawkeswell plötzlich ihre Sinne beherrschte. Trotz der samtenen Zartheit seiner Lippen waren sie auch unnachgiebig, und die Hand unter ihrem Kinn hielt sie zwar sanft, kontrollierte sie aber auch.
Ihr wurde bewusst, wie wenig Raum ihre Körper trennte und wie sein Duft sie einhüllte. Aber da war noch etwas anderes, das er ausstrahlte, unsichtbar und doch fast greifbar. Der Kuss enthielt viel von seinem inneren Selbst, mehr noch als von seiner körperlichen Präsenz.
Verity musste nicht lange leiden. Sie gestattete nur eine ganz kurze Berührung der Lippen, welche ein seltsames Kribbeln verursachte sowie einen leichten Druck, dem sie widerstand. Schnell trat sie einen Schritt zurück und befreite sich von seiner sanften Hand.
Er sah sie einen Moment lang zutiefst nachdenklich an, dann drehte er sich um.
»Dann also bis morgen, teure Gattin!«
5
»Wie passend, dass es heute regnet«, murmelte Hawkeswell. »Irgendwie angemessen.«
»Bist du wütend, dass Audrianna Verity gestern Abend gebeten hat, sich mit ihr ein Zimmer im Gasthof zu teilen?«, fragte Summerhays. »Du hattest doch wohl nicht vor …«
»Nein, natürlich hatte ich das nicht vor. Schlimm genug, dass ich ein Darsteller in dieser Farce bin. Ich will nicht auch noch die Gäste eines Gasthofs als Zuschauer haben.«
Ihre Pferde trabten nebeneinanderher, und beide folgten Summerhays’ Kutsche. Darin saßen Verity und Audrianna bequem und trocken und planten sicherlich, wie mit Hawkeswell fertigzuwerden war.
Mit eleganter Kunstfertigkeit hatten die Damen sichergestellt, dass sie einen Großteil der Reise unter sich waren und ihre Gatten hinterherreiten mussten. Anderthalb Tage waren nun vergangen, seit sie sich nach Essex
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