Die widerspenstige Braut
bin nicht so unschuldig, wie Sie gern glauben möchten, dass ich es bin.«
»Entschuldigen Sie mich bitte, Gentlemen.« Nach dem Mittagsimbiss am nächsten Tag entschuldigte sich Samantha bei der kleinen Herrengruppe, die sie umringte. »Ich habe Pflichten zu erfüllen.«
»Colonel Gregory braucht Sie nicht.« Lieutenant Du Clos lächelte galant, wenn auch ein wenig pikiert. Ihre entschiedene Indifferenz hatte ihm ziemlich zugesetzt. »Er unterhält sich gerade mit Lord und Lady Featherstonebaugh.«
»Es ist nicht Colonel Gregory, der mich braucht, sondern eins seiner Kinder.« Samantha knickste und marschierte Richtung Haus. Warum glaubte der Lieutenant, dass ihre Pflichten William betrafen? Hatte sie durch irgendetwas ihr Interesse an William verraten? Hatte sie zu süß gelächelt, ihn zu schmachtend angeschaut?
Sie rieb sich die Stirn. Mit diesem Verliebtsein konnte man wirklich schwer umgehen.
Verliebtsein.
Sie stolperte auf der Treppe, die ins Haus führte. Der Lakai fing sie am Arm auf. Sie dankte ihm und ging weiter, machte einen Schritt nach dem anderen in der Hoffnung, dass es keine weiteren Hindernisse geben würde, froh, dass sich niemand im Haus aufhielt, denn im Moment konnte sie mit weiteren Schwierigkeiten oder weiteren Unterhaltungen genauso wenig fertig werden, wie sie fliegen konnte.
Verliebt. In Colonel Gregory? Das war nicht möglich. Das wäre wirklich die Höhe an Idiotie.
In Ordnung. Sie gab es ja zu. Sie fühlte sich
angezogen
von ihm. Sie fand seinen Körper verführerisch, die Konversation mit ihm stimulierend und die Art und Weise, wie er küsste, inspirierend. Aber das war auch schon alles. Samt einer Mitleid erregenden Faszination an der Art und Weise, wie er küsste.
Deshalb beobachtete sie seine Lippen, wenn er sprach, und stellte sie sich auf ihrer Haut vor. Deshalb hatte sie sich die halbe Nacht mit dem Problem herumgeschlagen, was sie bei jeder einzelnen Gelegenheit anziehen sollte. Sie war in die Falle seiner Anziehungskraft geraten, nichts weiter. Dieser konstante Schmerz in ihrem Herzen, dieses unwiderstehliche Bedürfnis, im Sonnenschein zu tanzen, dieses Verlangen, ihn Tag und Nacht zu sehen – das war keine Liebe. Nicht zu einem Mann, der so weit über ihr stand. Nicht zu einem … nicht zu irgendeinem Mann. Sie wusste es besser. Sie
hatte
es besser gewusst.
Sie betrat das leere Musikzimmer und ging hinüber zum Pianoforte. Sie öffnete es und fuhr mit den Fingern über die Tasten. Wenn es nur als Hintergrunduntermalung diente, passte sich das wunderbare Instrument geradezu himmlisch harmonisch Maras Stimme an. Colonel Gregory würde morgen stolz sein auf seine Tochter. Ihre Stimme war genau das, was er versprochen hatte.
Samantha runzelte die Stirn. Aber Mara selbst … das Kind schien zerstreut zu sein. Voller Furcht. Überwältigt von der Vorstellung, vor so vielen Leuten zu singen.
Samantha verstand das. Als Samanthas Vater zum ersten Mal beschlossen hatte, dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen sollte, war sie vier Jahre alt gewesen, hatte an einer Straßenecke gestanden mit schmutzbeschmiertem Gesicht, um das allgemeine Mitleid zu erregen, und musste für ihr Abendbrot singen. Sie hatte sich so gefürchtet, dass ihre Stimme gezittert hatte, und keiner hatte ihr Geld gegeben. Sie hatte gehungert an dem Abend, da ihr Pa schließlich keinen Parasiten mit durchfüttern wollte. Sie hatte ihr Lampenfieber zwangsweise schnell überwunden, aber sie hatte auch nie diese seelenerschütternde Angst vergessen.
Ihr Vater. Ja. Wann immer sie sich einbildete, verliebt zu sein, sollte sie sich an ihren Vater erinnern. Halb Waliser, halb verrückt. Diese Nächte, wenn er betrunken war und fast bewusstlos aufs Bett fiel. Diese Tage, wenn er nüchtern war und mürrisch nach Kleingeld suchte für seinen Gin. Die Zeiten, in denen er gelächelt hatte, sauber war, gut angezogen und seiner Tochter und seiner Frau Geschenke mitgebracht hatte. Als kleines Mädchen konnte sie nicht verstehen, warum ihre Mutter weinte, wenn er doch so wundervoll war. Erst später hatte sie verstanden, dass er eine passende Frau gefunden hatte, nämlich eine reiche Frau, mit der er herumziehen und sich vergnügen konnte. Er hatte gut ausgesehen, ihr Vater, konnte sehr liebenswert sein, wenn ihm danach war, und wenn sie daran dachte, wie er geendet hatte … Sie legte sich die Hand über die Augen, als könnte sie damit die Erinnerung aussperren.
Ja. Wenn sie dahinschmolz vor Sehnsucht
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