Die widerspenstige Lady
nur Affären gepflegt, die den rein körperlichen Leidenschaften geschuldet waren. Mit Annabell allerdings ging es um so viel mehr.
Fast verschlug es ihm den Atem. Nie im Leben hatte er eine solche Furcht gekannt. Er hatte nicht nach London reisen und Annabell allein auf Rosemont zurücklassen wollen. Jetzt sehnte er sich unglaublich danach, sie endlich wieder in den Armen zu halten, ihre Nähe zu spüren, bei ihr zu sein. Selbst ihre Sturheit fehlte ihm! Nur war das alles nun für immer vorbei.
Bestimmt würde sie ihn verlassen. Zum ersten Mal im Leben besaß ein anderer Mensch so viel Macht über ihn, dass er ihn derart verletzen konnte. Die Erkenntnis gefiel ihm nicht im Mindesten.
Eilig winkte er dem Kutscher. Er musste rasch zu Elizabeth, um danach sofort abreisen zu können. Anschließend wollte er mit Annabell sprechen. Vielleicht würde es ihm ja doch gelingen, sie davon zu überzeugen, auch nach der Heirat mit Elizabeth bei ihm zu bleiben. Ein derartiges Arrangement war nicht unbedingt ungewöhnlich. Und mehr konnte er ihr nicht mehr bieten. Leider bezweifelte er, dass ihr das ausreichen würde. Dennoch durfte er nichts unversucht lassen.
Natürlich hätte er Annabell eigentlich freigeben müssen, aber dafür war er wohl zu selbstsüchtig. Es würde zu sehr wehtun …
Annabell stand auf dem Rasen vor Rosemont und betrachtete die aufblühenden Knospen. Bald würde ein ganzes Rosenmeer das Anwesen in betörenden Duft tauchen. Es war bestimmt ein bezaubernder Anblick.
Sie betrat die Halle und reichte dem Butler ihren Mantel. „Danke, Butterfield.“
Der Alte verneigte sich würdevoll und verzog keine Miene ob ihrer zweifelhaften Aufmachung.
Unsicher spähte sie an den Pumphosen hinab. Der Saum des Kleidungsstücks war feucht, aber immerhin nicht matschbespritzt. Dasselbe galt für das Schuhwerk. So konnte sie sich schnell noch in die Bibliothek wagen, um ein Buch zu holen. Danach würde sie sich oben umziehen.
Wie so oft, kam Hugo ihr in den Sinn. Tatsächlich hatte sie ihn während seiner kurzen Abwesenheit noch mehr vermisst, als ohnehin schon erwartet. Die beiden Nächte waren ihr schier unendlich vorgekommen. Wie lange konnte ein Gentleman eigentlich brauchen, um einer ehemaligen Geliebten den endgültigen Abschiedskuss zu geben?
Seufzend öffnete sie die Tür zur Bibliothek und trat ein. Erstaunt blieb sie stehen. Hugo saß in seinem Lieblingssessel am Feuer.
„Wann bist du hier eingetroffen?“, fragte sie und versuchte ihre Freude zu verbergen.
Zögerlich erhob er sich. Die dunklen Locken waren zerzaust, das Hemd stand offen, und er hielt einen Cognacschwenker in der Hand. Die glasigen Augen verrieten, dass er betrunken war.
Rasch ging sie zu ihm und nahm ihm das Glas ab. „Was tust du denn nur?“
„Ich trinke mir Mut an.“ Man hörte, dass er wirklich nicht mehr ganz nüchtern war.
„Und wofür glaubst du den zu benötigen?“
Eine böse Vorahnung befiel sie. Ganz offensichtlich hatte er etwas sehr Unangenehmes mit ihr zu besprechen. Vielleicht … doch sie wagte nicht einmal, daran zu denken. Das würde er niemals tun – nicht, nachdem er ihr versprochen hatte, dass er die Liaison mit der Geliebten beenden wollte.
Er griff nach dem Glas in ihrer Hand, doch sie versteckte es hinter dem Rücken. Hier stimmte etwas nicht. Und zwar ganz und gar nicht.
Schulterzuckend sank er wieder in den Sessel und schlug die Beine lässig übereinander. „Dann behalte den Cognac, du wirst ihn brauchen, meine Schöne.“
„Und weshalb?“, verlangte sie zu erfahren.
Nachdenklich sah er ins Feuer und rang nach Worten. Dabei wirkte er so unendlich traurig, als hätte er den größten Schatz verloren.
Schweigend musterte sie ihn. Ihre Befürchtungen wurden immer schlimmer. Er war nur drei Tage fort gewesen, und dennoch schien sich die ganze Welt seitdem für ihn vollkommen verändert zu haben. Ob es klüger wäre zu entfliehen, bevor er ihr eröffnen konnte, was ihn so bedrückte? Sein ganzes Verhalten verriet, dass mit irgendeinem Unglück zu rechnen war. Sie entschloss sich zu bleiben und nahm in dem Sessel neben ihm Platz.
Noch immer schwieg er. Sie wartete geduldig. Von ihren Brüdern wusste sie, dass es nichts half, Betrunkene zu bedrängen. Die sagten nichts, bevor sie nicht wollten – und dann auch kein Wort mehr, als sie wollten. Meist hätte sie allerdings über die Gründe für die Flucht in den Alkohol lieber gar nichts gehört. Dies stand auch heute bei Hugo zu
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