Die Wiedergeburt
dort auf Aufzeichnungen stoßen.
Alexandra verfluchte sich dafür, dass sie sich nicht von Anfang an mehr für die Geschichte des Schwarzen Kreuzes interessiert hatte. Wie hätte sie auch ahnen können, dass das Kreuz, das dazu bestimmt war, sie vom Unendlichen zu befreien, einmal zur Gefahr werden würde!
Die Vorstellung, Edinburgh mit dem Splitter im Gepäck verlassen zu müssen, um ihre Nachforschungen in London fortzusetzen, behagte ihr nicht. Je eher er zerstört wurde, desto schneller war Lucian außer Gefahr. Dann brauchte sie sich nicht länger zu sorgen, dass es den Jägern doch noch gelingen könnte, den Splitter in ihren Besitz zu bekommen und Lucian zu stellen.
Der Gedanke, Lucian zu verlassen, ohne zu wissen, ob er in Sicherheit war, hatte etwas derart Beklemmendes an sich, dass sie ihren Geist unwillkürlich nach dem Band ausstreckte. Augenblicklich erfüllte ein tröstlich warmes Kribbeln ihr Innerstes. Dann griff sie nach dem nächsten Buch. Das war das erste Mal, dass sie ein Werk vor sich hatte, das sich ausschließlich mit kirchlichen Reliquien befasste. In der Hoffnung, eine Spur zu finden, tauchte sie darin ein. Am Ende angelangt, stellte sie es enttäuscht, aber mit dem Hinweis auf einen Folgeband zurück. Doch das erwähnte Buch stand nicht unmittelbar daneben. Auf der Suche danach ließ Alexandra ihren Blick über die Buchrücken wandern und hielt abrupt inne. Etwas war anders. Stiller. Es war die ganze Zeit über ruhig gewesen, doch diese Stille war anders. Sie erinnerte Alexandra daran, wie ein Vampyr seine eigenen Geräusche auszublenden vermochte. Damit veränderten sie jedoch auch andere Laute in ihrer Umgebung. Geräusche klangen dumpfer und leicht verzerrt. Es war keine große Veränderung, doch sie reichte aus, um jemanden, der wusste, worauf er zu achten hatte, aufmerksam werden zu lassen. Die Stille mochte verhindern, dass ein unbedarfter Mensch hörte, wie die Kreatur näher kam. Die Kälte jedoch konnten diese Wesen nicht verbergen. Mit jedem Schritt, den sie sich weiter näherten, wurde sie durchdringender. Jetzt jedoch war es nicht kalt. Lucian kann die Kälte unterdrücken , schoss es Alexandra durch den Kopf. Aber warum sollte er sich an sie heranschleichen?
Gab es noch andere Vampyre, die gelernt hatten, die Kälte zu kontrollieren? Einen, der die Vernichtung des Unendlichen überdauert hatte? Unwillkürlich schob sie eine Hand unter den Gehrock, tastete nach ihrer Pistole – und griff ins Leere! Die Jäger hatten ihr die Doppelläufige und den Silberdolch abgenommen. Sie hatte nicht einmal Stechginster dabei. Kein Weihwasser. Kein Kreuz. Nichts.
Alexandra verharrte reglos, ihre Sinne auf die Umgebung gerichtet. Da vernahm sie ein leises Rascheln von unten. Jemand blätterte in einem Buch – vermutlich Lucian oder Bothwell. Die Geräusche klangen vollkommen normal, kein bisschen verzerrt oder gedämpft. Also kein Vampyr ,dachte sie erleichtert. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie dann so unruhig war. Das ist seine Schuld! Lucians Nähe machte sie nervös. Seit sie ihm das erste Mal begegnet war, schien sich ihre Welt zu einem großen Teil um ihn zu drehen. Er war stets präsent – selbst dann, wenn er nicht einmal in der Nähe war! Es war, als habe er einen Teil ihres Bewusstseins zum Leben erweckt, von dessen Existenz sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte. Bevor sie ihm begegnet war, waren ihre Gedanken und Träume kalt und leer gewesen. Jetzt waren sie erfüllt von ihm.
»Das muss aufhören!«, flüsterte sie und wollte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Bücher vor sich richten, als ein eisiger Hauch über ihren Nacken strich. Sie fuhr herum, darauf gefasst, sich einem Vampyr gegenüberzusehen. Doch da war nichts. Ihr Blick wanderte über die Galerie. Sie war allein. Die Kälte, die sie gestreift hatte, war fort. Als sie sich umwandte, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen, hörte sie etwas. Ein Knarren. Auf der Galerie! Wieder verharrte sie und lauschte. Doch das Geräusch war verstummt. Sie wollte sich gerade erneut den Büchern zuwenden, als ihr auffiel, dass sie den Bibliothekar nicht mehr hörte. Kein Kratzen der Feder und kein dumpfer Schlag, wenn er einen weiteren Folianten zur Seite legte. Deshalb war es ihr so still erschienen. Beruhigt, dass die Stille weder von einem Vampyr stammte noch einen anderen üblen Ursprung hatte, machte sie sich auf die Suche nach dem Folgeband über kirchliche Reliquien. Ihre Augen streiften über die Buchrücken, Reihe
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