Die Wiederkehr des gefallenen Engels
wird aus euch wahrscheinlich nie etwas. So viele Chancen bekommt man nicht.«
»Hört. Hört«, ächzte Rachel Winter. »Du klingst schon wie Oma …«
»Und was ist daran so schlimm«, empörte sich Martha. »Ich bin nämlich auch der Meinung, dass du fliegen sollst. Wenn es dich beruhigt, bis zu eurer Abreise ist es ja noch einige Zeit hin, da wird sich ja zeigen, ob der Vorfall von gestern Nachwirkungen zeigt. Wenn nicht, gibt es keinen Grund für dich hierzubleiben.«
»Mutter!«
»Nichts da.« Martha wedelte mit dem Zeigefinger in der Luft herum. »Manchmal habe ich das Gefühl, du suchst geradezu nach einem Grund, nicht mit nach Florida zu müssen. Ich glaube, du hast schlichtweg Angst vor dem, was geschehen oder auch nicht geschehen wird.«
Rachel schwieg. Den Blick hielt sie auf ihre Hände gerichtet, die sie im Schoß zusammengelegt hatte.
»Außerdem bin ich ja auch noch da«, vollendete Martha ihren Einwand und legte eine eigentümliche Betonung in ihre Worte.
»Genau.« Lara erhob sich von ihrem Stuhl, trat zu ihrer Mutter und legte ihr den Arm um die Schulter. »Mach dir keine Sorgen, mir wird nichts passieren. Alle Untersuchungen haben ergeben, dass ich kerngesund bin. Was immer auch gestern passiert ist, es wird sich wahrscheinlich nicht wiederholen.«
»Wahrscheinlich? Wenn …«
»Nein. Versteh doch. Es kann immer und überall etwas passieren. Du kannst mich nicht vor allem schützen.«
Rachel seufzte. In ihren Augen schwammen Tränen. »Gut, dann sage ich Thorsten nicht ab. Ich werde nach Florida fliegen, aber ich rufe jeden Tag an, und wenn etwas ist, nehme ich den nächsten Flug zurück.«
Lara gab ihr einen Kuss und zwinkerte Martha zu. »So machen wir das.«
Ihre Mutter gab sich geschlagen. »Manchmal wünsche ich mir das kleine Mädchen zurück, das du einmal warst«, sagte sie liebevoll und strich dabei über Laras Haar. »Aber ich muss mich wohl damit abfinden, dass du nun erwachsen bist und auch ohne mich zurechtkommst.«
Lara umarmte sie spontan und flüsterte ihr leise ins Ohr. »Ich werde für immer dein kleines Mädchen sein, aber du musst mich loslassen, damit ich lerne zu fliegen.«
Der Himmel war wolkenverhangen und düster. Heißer Wind wehte über das öde Land. Soweit das Auge reichte, nackter Fels. Rote Lavaströme, die wie feurige Flüsse ihren todbringenden Weg durch die Ebene fraßen.
So weit das Auge blickte, Ödnis.
Und Dämonen.
Unzählige von ihnen. Sie überfluteten das Land, stürmten unermüdlich gegen die Festung, so wie sich die Meeresbrandung beharrlich an der Küste bricht. Wer beim Angriff nicht im Feuersturm verging, wand sich im Todeskampf kreischend und brüllend auf dem nackten Fels, aber niemand kümmerte sich um die Verletzten. Ihre Schreie verstummten, wenn weitere Dämonen über sie hinwegstiegen und ihre Leiber zertrampelten.
Das Wesen der Dämonen kannte keine Ordnung. Nur Chaos, Kraft und wilde, ungezügelte Wut. Sie kämpften für ihre Freiheit, dafür, die Ketten der Sklaverei in der Hölle abzuwerfen und in eine irdische Welt zurückzukehren, die einmal die ihre gewesen war. Als Menschen hatten sie einst gelebt, aber durch ihre Sünden und unreinen Taten war ihnen nach dem Tod Gottes Reich verwehrt geblieben und so waren sie in die Hölle gestürzt worden. Dort mussten sie in Satans Reich dienen, für alle Ewigkeiten durch Schmerz und Feuer an ihn gebunden, aber die Sehnsucht nach der Welt der Menschen brannte noch immer in ihnen.
Satan blickte zum Himmel empor. Auch dort Schwärme von Dämonen. Geflügelte jagten ihnen wie tanzende Wolken entgegen, wurden von Schauern armlanger Pfeile hinweggefegt. Der Lärm war unbeschreiblich.
Neben ihm bellten die Generäle hastig Befehle, ordneten die Reihen neu, schlossen Lücken in der Verteidigung. Noch hielt die Mauer aus Stein und Leibern. Noch gaben die dunklen Engel keinen Fußbreit Boden preis. Noch war das Portal, das in ihrem Rücken lag, in Sicherheit und mit ihnen die gesamte Menschheit.
Noch.
Sollte es den Dämonen gelingen, das letzte verbliebene Portal zu erobern, würden sie aus der Hölle steigen und die Welt der Menschen überschwemmen. Eine Welle aus Blut würde ihre Eroberung begleiten, bis es kein Leben mehr auf Erden gab. Dann würden selbst die Engel im Himmel erzittern und Gottes Reich würde fallen. Dann wäre die Erde für immer wüst und leer und von Dämonen bevölkert.
Der Fürst der Hölle kannte keine Angst, aber selbst ihn hatte Besorgnis erfasst, denn
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