Die Wiederkehr des gefallenen Engels
hast du gemacht?« Warum stellte sie diese Frage? Was sollte er schon gemacht haben? Wahrscheinlich war er wie alle anderen um sie herumgestanden und hatte sie angeglotzt.
»Ich habe deine Hand gehalten.«
»Du hast was?«
»Ein Gefühl sagte mir, es würde dir guttun, einen anderen Menschen zu spüren. Vielleicht hat es dir geholfen, aus der Ohnmacht herauszufinden.«
»Ich bin erst im Krankenhaus wieder richtig zu mir gekommen.« Sie sah ihn an und dachte an ihren Traum. »Warum sagst du so merkwürdige Dinge?«
»Ist das merkwürdig?«
»Ja.«
»Ich weiß nicht. Ich empfinde es nicht als merkwürdig.«
»Du hast also meine Hand gehalten.«
»Bis die Rettungssanitäter gekommen sind.«
»He, das hat doch mindestens zehn Minuten gedauert.«
»Stimmt, aber Herr Seher kam gleich mit der Rektorin zurück. Sie haben dich vorsichtig auf den Boden gelegt, dir eine Decke unter den Kopf geschoben und dich zugedeckt. Alle anderen wurden hinausgeschickt.«
»Warum hast du das getan, ich meine, meine Hand gehalten? Sei ehrlich.«
»Ich habe es dir schon gesagt, außerdem ist es schön, deine Hand zu halten.«
»Du bist seltsam.«
»Ja, ich merke schon, Ehrlichkeit ist nicht unbedingt angesagt.«
»Hm. Woher kommst du eigentlich ursprünglich?«
»Berlin.«
»Hat man dir dort immer die Wahrheit gesagt? Hast du immer die Wahrheit gesagt?«
»Keine Ahnung.«
»Wie, keine Ahnung? Das weiß man doch.«
»Ich nicht. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.«
»Und warum bist du nach Rottenbach gekommen?«
»Private Gründe …«
»… die du mir nicht sagen willst.«
»Richtig.«
Okay, dachte Lara. Das ist in Ordnung. Vielleicht gab es familiäre Schwierigkeiten. Scheidung oder so?
»Leben deine Eltern auch hier.«
»Nein, meine Eltern sind tot. Schon lange.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Muss es nicht.« Seine grauen Augen sahen sie eindringlich an. Lara verstand, dass sie das Thema nicht vertiefen sollte.
»Ich war vor Kurzem auch in Berlin.«
»Und? Hat es dir gefallen?«
»Oh ja«, sie seufzte. »Berlin ist echt groß. Und einfach eine Weltstadt. Dort ist immer was los. Ganz im Gegensatz zu diesem Kaff hier.«
»Mir gefällt Rottenbach.«
»Ja, klar, du bist auch noch nicht lange genug da. Dieser Zustand gibt sich.«
»Schöne Landschaft. Viel Ruhe.«
»Öde und langweilig.«
»Man kann hier wunderbar spazieren gehen.«
»Oder sterben.«
»Nette Menschen.«
»Hör auf, hier wird schwäbisch gesprochen. Du verstehst kein Wort davon.«
»Aber es klingt nett.«
Lara lachte. »Du kannst auf Französisch ›Arschloch‹ sagen und es hört sich auch wie ein Kompliment an. Ist ungefähr vergleichbar.«
»Ist es nicht«, lachte nun auch Damian. »Französisch ist die Sprache der Liebe. Hat man mir jedenfalls gesagt.«
»So, so.«
Ernst blickte er sie an. »Ich glaube, du siehst gar nicht mehr, wie schön es in Rottenbach ist.«
»Mag sein«, erwiderte Lara.
Er sagt echt seltsame Sachen, dachte sie. Nein, er ist seltsam, aber auf eine angenehme, altmodische Art. So als stamme er nicht aus dieser Zeit, sondern aus einem vergangenen Jahrhundert. Sie betrachtete ihn erneut. Die langen schwarzen Haare waren jetzt getrocknet und fielen locker bis über seine Schultern hinab.
Sein Gesicht ist ziemlich bleich. So als käme er kaum ans Tageslicht. Hoppla, vielleicht ist er ein Vampir. Er ist Edward und ich bin Bella. Dann ist Ben …
Halt, das war die falsche Reihenfolge. Warum hatte sie das durcheinandergebracht? Ben war der Junge, in den sie verliebt war.
»Ist irgendetwas?«, fragte Damian, der anscheinend ihren Stimmungswandel bemerkt hatte. Wie viele Minuten hatte sie nun geschwiegen?
Lara ließ die Luft entweichen. »Nein«, meinte sie schlicht.
»Du wirkst angespannt.«
»Ich bin ein wenig müde.«
Er verstand offensichtlich den Hinweis, denn er erhob sich sofort. »Wie unsensibel von mir. Der Tag muss dich erschöpft haben und ich sitze hier und quatsche dich voll.«
So ist es nicht gewesen, dachte Lara, aber schwieg dazu.
Er hob die rechte Hand zum Abschiedsgruß. »Wir sehen uns dann in der Schule.«
»Ja, bis dann, danke für deinen Besuch.«
»Schon okay.«
Er zog seinen Mantel an, winkte noch einmal, dann war er verschwunden.
Du bist eine Zicke, Lara Winter.
Aber irgendwie stimmte es auch. Sie fühlte sich nun erschöpft. Kraftlos machte sie sich für die Nacht zurecht. Sie knipste das Licht aus.
Kurz darauf war sie eingeschlafen.
Ben stand im Schatten eines
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