Die Wiederkehr des gefallenen Engels
beschützte und diesen Kampf überleben ließ.
Das Spiel war in der dritten Runde. Sowohl Marc als auch Ben hatten eine Partie gewonnen. Beide waren gleichwertige Gegner, auch jetzt konnte man keinen klaren Favoriten ausmachen.
Lara stand neben Jessi und Mona und beobachtete uninteressiert das Spiel. Sam saß auf der Ecke eines nahen Tisches und sah ebenfalls zu. Als Jessi zu ihm hinüberging, um ein paar Worte zu wechseln, versuchte Lara, mit Mona ins Gespräch zu kommen.
»Wir hatten noch gar keine Gelegenheit, uns zu unterhalten. Letztes Mal endete der Abend ja ziemlich abrupt.«
»Ja«, sagte Mona nur. Ihr kahl rasierter Schädel glänzte im Licht der Deckenbeleuchtung. Lara betrachtete erneut die vielen Piercings, die an Augenbrauen, Nase und Lippen steckten. Dann fiel ihr Blick in tiefe braune Augen. Augen weich wie dunkler Samt, mit einem matten Schimmer darin. Wenn man genau hinsah, konnte man auch Schmerz und Leid darin entdecken. Mona hatte kein leichtes Leben gehabt.
»Kann ich dich was fragen?«, sagte Lara.
Mona nickte.
»Warum die Glatze?«
Monas Miene verdüsterte sich.
»Du musst es mir nicht sagen«, fügte Lara hastig hinzu.
»Ist schon okay.« Mona zog eine Packung Zigaretten aus der Jackentasche, nahm eine Zigarette heraus und schob sie sich unangezündet zwischen die Lippen.
»Eine Glatze hat ’ne Menge Vorteile. Weniger Arbeit mit Waschen, Föhnen und Frisieren und so, aber auch die Jungs halten sich von dir fern. Labern dich nicht an.«
Sie sagte es nüchtern. Trocken. Als eine schlichte Tatsache, die keine Erklärung erforderte.
»Und das willst du?«
Das Mädchen zögerte, dann wurde ihr Blick abweisend. »Was soll das werden? Ein Gespräch unter Freundinnen? Wir sind keine Freundinnen und werden es wahrscheinlich nie werden. Also was soll die Fragerei?«
Lara spürte die Hitze ins Gesicht schießen. Nach Sam war das schon die zweite Abfuhr, die sie in dieser Clique bekam, wenn sie näher auf die Leute zuging.
Oder bin ich bloß neugierig und die anderen merken das?, fragte sie sich stumm.
»Ich … ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
Monas Blick forschte in ihren Augen. »Nein«, sagte sie beinahe überrascht. »Das willst du wirklich nicht. Trotzdem möchte ich darüber nicht reden.«
»Worüber würdest du denn gern reden?«
Mona zuckte die Schultern. »Weiß nicht. Erzähl was von dir. Wer bist du? Was machst du so?«
»Da gibt es nicht viel zu sagen. Ich führe ein langweiliges Leben, gehe zur Schule, mache bald mein Abi und überlege, was ich studieren soll.«
»Für mich klingt das prima«, meinte Mona.
»Was möchtest du denn mal machen?«
Mona zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht.«
Lara erkannte, dass die Unterhaltung so nicht funktionieren konnte. Damit es für niemand peinlich wurde, entschuldigte sie sich und ging in Richtung Toiletten.
Der Raum war eng, von oben bis unten weiß gefliest und sauber. Es roch nach Zitronen. Ein großer Spiegel nahm den Raum über dem Waschbecken ein. Lara trat ans Becken, wusch sich die Hände und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Alles okay. Sie sah nicht schlecht aus, auch wenn ihr die dunklen Ringe unter den Augen signalisierten, etwas mehr zu schlafen, aber ausreichender Schlaf war derzeit nicht so einfach. Meistens wälzte sie sich unruhig im Bett umher, und wenn sie dann endlich einschlief, verfolgten sie Albträume von einem wüsten Land, in dem ein unermesslicher Krieg tobte. Woher diese Träume kamen, konnte sie sich nicht erklären. Sie las keine Bücher mit derlei Inhalt und in die Glotze hatte sie schon ewig nicht mehr geschaut.
Warum also diese Albträume, die sie verschwitzt und unausgeruht aufwachen ließen?
Ich muss zur Ruhe kommen. Irgendetwas wühlt mich innerlich auf. Vielleicht hat alles ja noch mit Großvaters Tod zu tun und ich habe das einfach noch nicht verarbeitet.
Lara ließ ein paar Tropfen Wasser über ihren Zeigefinger laufen und betupfte damit die Haut unter den Lidern. Es half natürlich nichts, fühlte sich aber frisch an.
Hinter ihr öffnete sich die Tür und Jessi trat ein. Lara hob den Kopf und sah ihr Lächeln im Spiegel.
»Die anderen fragen sich schon, wo du so lange bleibst«, meinte sie freundlich.
»Hmmm, komme gleich. Wollte nur mal mein Aussehen kontrollieren.«
»Du bist hübsch.« Jessi stellte sich neben sie an den Spiegel. Sie legte einen Finger unter die Wimpern ihres rechten Auges und strich sie nach oben.
»Danke«, sagte Lara verlegen.
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