Die Wiederkehr des gefallenen Engels
weißt es nicht«, sagte Ben sanft lächelnd. »Aber wie solltest du auch.«
»Was?«
»Wer ich bin.«
»Wie … wie meinst du das? Ben, bitte hör auf. Du machst mir Angst.«
»Angst ist gut. Sogar sehr gut, denn wenn du mich fürchtest, ist alles viel einfacher. Es erspart dir Schmerzen, wenn du dich mir unterwirfst.«
»Unterwerfen? Meinst du …?«
Sein Grinsen wurde breiter. »Mit dir schlafen? Dich vergewaltigen?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das, was ich dir antue, ist furchtbarer als das.«
»Ben, bitte …«
Er trat vor, packte mit beiden Händen ihren Kopf, zwang sie, ihm direkt in die Augen zu blicken.
»Sieh genau hin!«, befahl er und Lara konnte nicht anders. Dann geschah das Unvorstellbare, Bens Augen verwandelten sich, während sie hineinsah. Die dunklen Pupillen wurden gelb, geschlitzt, Raubtieraugen, die sie erbarmungslos und durchdringend anstarrten. Er ließ sie los. Lara taumelte zurück, fiel aufs Bett.
Sie schrie auf.
Die Verwandlung erfasste nun sein ganzes Gesicht. Immer bleicher wurde es, fast weiß, mit durchscheinender Haut. Die Wangenknochen traten überdeutlich hervor. Seine Lippen wurden spröde. Eine gespaltene Zunge zischelte daraus hervor, fuhr leckend darüber. Dann wurden Bens Haare weiß, so als verblasse die Farbe darin. Es wuchs, bis es ihm über die Schulter fiel.
Aber auch sein Körper veränderte sich, wurde noch muskulöser. Angespannt wie eine Katze streckte er sich. Vor ihren Augen verschwand seine Kleidung, wurde ersetzt durch eine rote Rüstung. Intarsien verzierten sie, zeigten Dämonenfratzen und Schlachtszenen. In seiner Faust erschien ein rot leuchtendes Schwert mit gebogener Klinge. Dann war es vollbracht.
Lara schrie nicht mehr. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Ihr Brustkorb hatte sich zugezogen, dass sie kaum noch Luft bekam. Sie hechelte wie ein Hund.
»Siehst du nun, wer ich bin? Wer ich wirklich bin?«, sagte Ben ruhig. »Nein, du siehst es nicht, darum will ich es dir sagen.« Er legte seine Hand auf die Brust, an die Stelle, wo sein Herz schlug. »Ich bin nur zur Hälfte Mensch, die andere Hälfte stammt aus der Hölle. Ah, ich sehe, du glaubst mir nicht. Dann lass mich erklären.«
Er trat einen Schritt vor. »Mein Vater ist ein dunkler Engel. Sein Name ist Asiszaar. Er kam in der Nacht, vergnügte sich mit meiner Mutter und erschuf so mich. Durch ihn habe ich Fähigkeiten, die weit über deine Vorstellungskraft hinausgehen. In mir vereint sich die Macht der Hölle mit der menschlichen Welt. Ich wurde geboren, um zu herrschen. Genau wie du.«
»Ich? Was redest du da?«, keuchte Lara.
»Weißt du es denn nicht?«
»Was soll ich wissen?«
»Dass du ebenfalls nur zur Hälfte ein Mensch bist.«
Wut stieg in ihr auf und sie war dankbar dafür. »Du …«
»Nein, du weißt es nicht. Denk doch mal nach. Dein Vater. Hast du ihn jemals gesehen? Nein, er ist kurz nach deiner Geburt gegangen. Du hast es mir selbst erzählt. Aber wohin ist er gegangen? Warum hat er sich in all den Jahren nie bei dir gemeldet? Soll ich es dir sagen? Weil er sich nicht in dieser Welt aufhält.«
»Du quatschst nur Scheiße«, zischte Lara. »Was oder wer auch immer du bist, du kennst meinen Vater nicht.«
Ben lächelte noch immer. »Stimmt, ich bin ihm nie persönlich begegnet, aber Asiszaar hat mir oft von ihm erzählt.«
Er öffnete entschuldigend die Hände. »Dein Vater ist der Herrscher über die Hölle. Du bist Satans Tochter.«
Lara stieß einen verzweifelten Schrei aus.
Dann kamen mit einer ungeheuren Wucht die Bilder zurück.
Lara sah sich in Berlin. Die Szene im Park tauchte in ihrem Geist auf. Damian. Er hatte sie gerettet.
Damian. Immer wieder Damian. Sie hatten sich geliebt. Ein Schmetterling im Herbst. Ein langer Kuss. Nie zuvor war sie so glücklich gewesen. Dann hatte sich alles geändert.
Ihre Großeltern. Das geheimnisvolle Foto. Westermann. Die Erkenntnis, dass Damian und ihr Vater keine Menschen waren. Der U-Bahnhof. Damian, der zu ihr sprach. Zusammenhänge erklärte.
Sie war Satans Tochter.
Geboren, damit er auf ewig herrschen konnte. Der 6 666. Tag in ihrem Leben. Die Entscheidung. Das Ritual. Sie sollte ihre Macht mit der Macht der Hölle vereinen.
Der Kampf im U-Bahn-Schacht.
Damians Tod.
Das letzte Bild, ein Engel, der auf sie zutrat und seine Hand auf ihre Stirn legte.
Lara wurde übel. Sie erbrach sich mitten auf das Bett. Als sie sich wieder aufrichtete, jagten heiße
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