Die Wiederkehr des gefallenen Engels
würde.
Er machte sich Sorgen. Nicht nur wegen der Gefahren, die in Berlin auf sie lauern mochten, und der Tatsache, dass Satan selbst sie erwartete. Er machte sich Sorgen um Laras geistigen Zustand. Ihre Reaktion in Stuttgart hatte ihm gezeigt, dass sie geistig erschöpft und mit der Situation überfordert war.
Wer wäre das nicht?
In ihren Reaktionen war sie emotional sprunghaft und zeigte die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle. Angst, Trauer, Wut, Verzweiflung, Hoffnung, das alles tobte in ihr, ohne dass sie diese Gefühle kontrollieren konnte.
Und dann war da noch ihre Liebe zu ihm. Er wusste, ihm blieb nicht mehr viel Zeit in dieser Welt. Wie würde sie mit seinem Tod umgehen? Schon einmal hatte sie ihn sterben sehen und nur Gabriels Eingreifen hatte verhindert, dass sie daran zerbrach.
Aber nun gab es keinen Gabriel und er selbst würde am Ende nicht mehr über die Kraft verfügen, sie vergessen zu lassen. Wenn es so weit war, blieb ihm nur die Hoffnung auf einen würdigen Tod, aber wahrscheinlich würde er sich vor Schmerzen wie ein Wurm auf dem Boden winden, kreischen und winseln.
Er blickte auf seine rechte Hand. Vorsichtig öffnete und schloss er die Finger. Keine Schmerzen, nur eine Taubheit, die ihm verriet, dass dahinter die Qualen lauerten. Er durfte in seiner Konzentration nicht nachlassen, nicht hoffen, dass ihm noch allzu viel Zeit blieb, denn dann war er verloren. Ihm blieb nur der Kampf gegen den Schmerz und er würde all seinen Willen brauchen, um am Leben zu bleiben, bis Lara ihrem Schicksal gegenübertrat.
Vielleicht werde ich diesen Moment noch erleben, aber wahrscheinlich ist es nicht.
Er lächelte bitter. Im entscheidenden Augenblick würde sie allein sein. Vor Satan treten und versuchen, ihm zu widerstehen, ohne dass sie Kraft aus seiner Liebe schöpfen konnte.
Es war ihr Schicksal.
Er hatte seines.
Ben stand in der Halle des Stuttgarter Bahnhofs und sah sich verzweifelt um. Er und Jessi hatten vor wenigen Minuten vor dem Gebäude geparkt, waren hineingerannt und sofort zu den Bahnsteigen gestürmt, aber der letzte Zug nach Berlin hatte bereits den Bahnhof verlassen. Nun hoffte er, dass Damian und Lara diesen Zug nicht genommen hatten, aber je länger er den Bahnhof absuchte, desto mehr schwand diese Hoffnung.
Er fluchte. Von links kam Jessi heran. Natürlich zog sie mit ihrer schlanken Gestalt, den ausladenden Schritten und den wippenden langen schwarzen Haaren die Blicke auf sich. Ben fluchte noch mehr. Das konnte er nun gar nicht gebrauchen.
»Kannst du aufhören, wie eine Nutte herumzustolzieren? Verdammte Scheiße«, knurrte er sie an.
Sie zischte ärgerlich, widersprach aber nicht.
»Hast du sie gefunden?«, wollte er wissen.
Sie schüttelte den Kopf.
Am liebsten hätte er seinen Ärger herausgebrüllt, aber er riss sich zusammen.
»Los, zurück zum Wagen. Wir müssen nach Berlin.«
Er wollte sich umdrehen, sah aber, dass Jessi stehen blieb.
»Was ist jetzt schon wieder?«
»Woher willst du wissen, dass sie nach Berlin unterwegs sind? Sie könnten sonst wo sein.«
»Hatte ich dir nicht gesagt, dass mich deine beschissene Meinung nicht interessiert?« Er packte sie am Arm und stieß sie unsanft vorwärts. »Los jetzt!«
Er drückte ihr die Autoschlüssel in die Hand. »Du fährst, und wehe, du trödelst. Ich will vor den beiden in Berlin sein, damit wir sie am Bahnhof abfangen können.«
»Das schaffen wir niemals.«
Ben trat ganz nahe an sie heran. »Du tust es schon wieder. Immer quatschst du mich voll. Ich reiß dir die verdammte Zunge raus, wenn das nicht aufhört. Können wir jetzt endlich fahren?«
Jessi zuckte zusammen. Sie nahm eine unterwürfige Haltung ein.
»Ja, Herr«, sagte sie leise.
Ben grunzte zufrieden. »Na also, geht doch.«
Etwas besser gelaunt, drehte er sich um und schritt voran zum Parkplatz.
Jessi folgte ihm gehorsam mit einigen Schritten Abstand.
40. – 13.00 Uhr
Der Zug fuhr in den Bahnhof ein. Die Zuggäste drängten zu den Türen. Es wurde gedrückt und geschoben. Irgendwie schien jeder der Erste sein zu wollen, der den Zug verließ.
Damian und Lara quetschten sich zwischen den Menschen hindurch zur Waggontür und stiegen aus. Die Menge hastete auf die Rolltreppen zu, Damian und Lara ließen sich in der Masse mittreiben. Viele Menschen waren ihr bester Schutz, falls es die dunklen Engel oder Ben vor ihnen nach Berlin geschafft hatten. Sie hofften, in der Woge der Reisenden untertauchen und den Bahnhof unbemerkt
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