Die Wiederkehr des gefallenen Engels
hasteten auf das Bahngleis zu. Überall wurden bereits die Waggontüren zugeschlagen. Der Schaffner stand bereit, das Abfahrtsignal zu geben. Als sie das Ende des Zuges erreicht hatten, riss Damian die Tür auf, schob Lara hinein und sprang hinterher. Schwer atmend, standen sie im Zwischenraum, der die Waggons verband.
Ein Pfiff ertönte. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Langsam verließ er den Bahnhof und fuhr in das Schneegestöber hinaus.
Damian fasste nach Laras Hand. Gemeinsam betraten sie den ersten Waggon. Er war offen, ohne Abteile, mit voll besetzten Sitzplätzen. Niemand blickte auf, als sie sich durch den Gang zwängten. Die meisten waren mit dem Lesen von Zeitschriften oder ihrem Laptop beschäftigt. Jeder hatte sich auf seine Weise auf die lange Fahrt eingerichtet.
Sie verließen das Abteil und gingen in den nächsten Waggon. Auch hier kein freier Platz. Lara seufzte.
Erst in der Nähe des Triebwagens wurde es besser. Anscheinend hatte bei dem Wetter niemand Lust verspürt, den überdachten Teil des Bahnhofs zu verlassen und bis zum Anfang des Zuges zu gehen.
Damian schob die Tür zu einem leeren Abteil auf. Lara ging hinein und ließ sich in den Sitz fallen. Hier drin war es warm, also stand sie wieder auf und zog den Mantel aus. Damian tat es ihr nach.
Schweigend saßen sie sich gegenüber. Jeder in seine Gedanken versunken, dachten sie an das, was sie in Berlin erwarten würde.
»Oh nein, wir haben keine Fahrkarten«, fuhr Lara hoch. »Und kein Geld. Jedenfalls nicht genug. Das wird Probleme geben, es sei denn, du hast Geld. Dass du eine EC-Karte oder eine Kreditkarte besitzt, kann ich mir nicht vorstellen, und mein Zeug liegt daheim auf dem Nachttisch.«
Damian kramte in seiner Hosentasche und zählte nach. Etwas über einhundert Euro. Nicht genug für die Fahrscheine.
»Tja, sieht nicht gut aus«, sagte Lara, aber sie grinste. »Stell dir mal vor, wir müssen nach Berlin, um die Welt zu retten, kommen aber nicht hin, weil uns ein Schaffner aus dem Zug schmeißt, da wir kein Geld für die Fahrkarten haben. Absurd.«
Damian erwiderte ihr Lächeln. »Lass mich mal machen.«
Nur fünf Minuten später war es so weit. Ein Schaffner in Uniform schob die Tür des Abteils auf. Er war hochgewachsen, mit kurz gehaltener Frisur und einem freundlichen Blick. Auf einem kleinen Plastikschild an seiner Brust stand sein Name. Hans-Ulrich Mandt. Lara betrachtete den groß gewachsenen Mann mit den ergrauenden Schläfen und dem freundlichen Lächeln, bei dem sich jungenhafte Grübchen um die Mundwinkel bildeten.
»Guten Morgen. Sie sind in Stuttgart zugestiegen?«, fragte er.
Lara nickte. Die Situation war so unwirklich, dass sie nicht wusste, was sie sagen oder tun sollte. Sie sah, wie sich Damian erhob. Im ersten Moment schien es, als wolle er die Fahrkarten aus seiner Manteltasche ziehen, aber dann wandte er sich um und legte dem Mann, wie schon zuvor der Frau in der Toilette, die Fingerspitzen auf die Stirn. Er flüsterte etwas. Lara sah, wie sich der Körper des Schaffners kurz anspannte, dann aber wieder locker wurde. Ein friedlicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
»Dann wünsche ich Ihnen noch eine gute Fahrt«, sagte er und verließ das Abteil.
Lara sah Damian erstaunt an, nachdem die Schiebetür geschlossen und der Mann verschwunden war. »Du hast ihn beeinflusst. Wie hast du das gemacht?«
Damian setzte sich wieder und schlug die Beine übereinander. »Ich habe ihm gesagt, dass alles gut ist und er in der Gnade des Herrn steht.«
»Hmm«, machte Lara.
»Was?«
»Kannst du das nicht auch bei mir machen? Ich würde ganz gern vergessen und erfahren, dass alles gut ist, und Gnade empfangen.« Sie warf ihm einen munteren Blick zu.
»Nein, das geht leider nicht. Wir brauchen dich im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte.«
»Dachte ich mir schon.« Sie schmiegte sich in ihren Sitz. »Ich denke, ich werde noch ein wenig dösen. Die letzte Nacht war kurz …« Sie gähnte. »Und wer weiß schon, was heute noch vor uns liegt.«
»Hast du Hunger?«
»Ja, aber ich will jetzt nichts essen. Später vielleicht.« Sie schloss die Augen.
Laras ruhiger, gleichmäßiger Atem verriet Damian, dass sie eingeschlafen war. Er lehnte sich im Sitz zurück und betrachtete sie. Im Schlaf wirkte ihr Gesicht friedlich und sie selbst sah noch jünger aus, als sie es war. Etwas Verletzliches umgab sie. Sein Herz klopfte, als er sie so ansah, und er wusste, dass er alles für dieses Mädchen tun
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