Die Wiederkehr des gefallenen Engels
es nicht aus, denn was er beim Anblick des Jungen gespürt hatte, verunsicherte ihn. Es war nicht nur Kraft, sondern auch etwas Düsteres von ihm ausgegangen.
»Wo sind sie jetzt?«
Var’al zuckte mit den Schultern. »Sie haben sich zurückgezogen, als sie mich bemerkt haben.«
»Sie?«, fragte der andere.
»Ja, ein Mädchen war bei ihm. Ebenso seltsam wie er. Ich habe es gespürt, als sie mich angesehen hat.«
»Na ja, aber jetzt sind sie verschwunden«, stellte der Dämon fest.
Var’al antwortete ihm nicht. Irgendetwas in ihm drängte darauf herauszufinden, wer die beiden jungen Leute waren und was es mit ihnen auf sich hatte.
Der andere Dämon wandte sich ab und kehrte zur Gruppe zurück, die ihn mit lautem Johlen begrüßte. Eine Flasche machte die Runde. Var’al sah kurz hinüber, aber da bemerkte er eine Bewegung aus dem Augenwinkel.
Es war das Mädchen.
Die Schultern hochgezogen, den Kopf gesenkt, hastete sie an ihm vorbei und hielt mit großen Schritten auf die öffentliche Toilette zu.
Var’al beobachtete, wie sie die Tür öffnete und in dem erleuchteten Raum dahinter verschwand. Sein Kopf fuhr herum. Er suchte die Gegend ab. Wo war der Junge, der sie begleitet hatte? Die beiden hatten wie ein Paar gewirkt, aber nun war er nicht zu sehen.
Einen Moment lang zögerte der Dämon. Unschlüssig trat er auf der Stelle. Was sollte er jetzt tun? Dem Mädchen nachgehen? Allein? Oder sollte er die anderen Dämonen rufen?
Nein, sie würden ihn nicht verstehen und nur über ihn lachen. Ein Mädchen, na und? Es gab so viele von ihnen, warum dieser einen folgen?
Er beschloss, allein herauszufinden, was es mit diesem Mädchen auf sich hatte.
39.
Damian hatte einen Moment zu lange gezögert und nun wusste er nicht, in welche Richtung Lara davongestürmt war. Er musste sie unbedingt finden, mit ihr reden, aber ihm blieb nicht mehr viel Zeit, der Zug nach Berlin würde bald abfahren.
Suchend blickte er sich in alle Richtungen um, konnte Lara aber nirgends entdecken, dafür bemerkte er den Dämon, der ihm vorhin in der Gruppe der Obdachlosen aufgefallen war.
Obwohl er ausgemergelt wirkte, bewegte er sich mit kraftvollen und zielstrebigen Schritten durch die Halle.
Wo wollte er hin?
Hatte das etwas mit Lara zu tun?
Er blickte in die Richtung, die der Dämon eingeschlagen hatte. Das Wesen ging zur öffentlichen Toilette hinüber.
Es wirkte dabei sehr zielstrebig. Damian erkannte an der Körperhaltung und der Anspannung, die im Gang des Wesens lag, dass es auf der Jagd war.
Aber warum?
Und wen jagte es?
Die Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Blitz.
Lara.
Der Dämon musste sie entdeckt haben, als sie durch die Bahnhofshalle geeilt war. Nun verfolgte er sie.
Damian wollte am liebsten losrennen, aber er hielt sich zurück. Er durfte keine Aufmerksamkeit erregen. Darum zwang er sich, ruhig zu bleiben, und folgte mit einigem Abstand dem Dämon, der gerade in der Bedürfnisanstalt verschwand.
Var’al betrat den Raum und stand vor zwei Schranken, die verhindern sollten, dass jemand die Einrichtung benutzte, ohne dafür zu bezahlen. Rechts ging es zu den Räumen für die Männer, links davon zu den Frauen.
Er blickte sich um. Niemand zu sehen. Weder Putzfrau noch Aufsichtspersonal. Er grinste und setzte mit einer fließenden Bewegung über das metallene Drehkreuz hinweg, das zu den Frauen führte. Noch zwei Meter. Dann sah er das Mädchen.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm und betrachtete sich im Spiegel. Offensichtlich hatte sie sich das Gesicht gewaschen, denn ihre Haut glänzte feucht im Licht der Neonlampe. Noch hatte sie ihn nicht bemerkt, denn er näherte sich ihr aus einem Winkel, den sie auch beim Blick in den Spiegel nicht sehen konnte. Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, schlich er näher. Var’al blickte sich um. Niemand außer dem Mädchen befand sich im Raum.
Er war fast bei ihr, als sie den Kopf drehte und ihn entdeckte. Sie blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, die unschlüssig zwischen ihm und dem Ausgang hin und her wanderten. Es war klar, dass ein Mann in der Damentoilette eine Bedrohung darstellte, aber ihre heftige Reaktion überraschte ihn doch. Und dann verstand er. Das Mädchen wusste, dass er ein Dämon war. Er hatte recht gehabt, irgendetwas an ihr war anders als an anderen Menschen, die Dämonen nicht erkennen konnten, wenn sie sich verwandelt hatten. Sie erkannte ihn hinter seiner Obdachlosenfassade oder der Junge, der wahrscheinlich ein Engel war, hatte
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