Die Wiederkehr des gefallenen Engels
es ihr gesagt.
In diesen wenigen Augenblicken, in denen sie sich gegenüberstanden, ohne dass ein Wort gesprochen wurde, entschied sich Var’al, sie nicht sofort zu erlegen, sondern zu packen und zu entführen. Er würde sie in sein Versteck in einem nahe gelegenen Tunnel schleppen und dort herausfinden, was es mit ihr auf sich hatte. Wenn wider Erwarten doch nichts Besonderes an ihr dran war, würde sie immer noch eine gute Mahlzeit abgeben.
Um sie zu beeindrucken, gab er seine menschliche Gestalt auf und verwandelte sich zurück in einen Dämon. Nun ragte er fast zwei Köpfe über ihr auf. Er ließ seine gewaltigen Muskeln spielen und schnaubte. Als er seine fingerlangen Reißzähne bleckte, erwachte das Mädchen aus seiner Starre und wich zurück. Er grinste. Das hier würde einfacher werden, als er gedacht hatte.
Var’al machte einen Schritt nach vorn. Er streckte die Pranken nach ihr aus und erwartete, dass sie sich weiter zurückziehen oder versuchen würde, an ihm vorbeizukommen. Doch sie blieb einfach stehen. Da bemerkte er, dass sie über seine Schulter hinwegsah. Und dann spürte er ihn. Den Engel. Über seinen Rücken lief ein Schauer. Er spannte alle Muskeln an und wandte sich langsam um.
Es war der Junge.
In seiner Hand lag ein goldenes Schwert und Var’al wusste, dass er verloren hatte. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, um Zeit zu gewinnen, aber schon wirbelte das Schwert wie ein Blitz heran. Var’al spürte einen leichten, fast angenehmen Schmerz, dann kippte er zur Seite. Als er auf dem Boden aufschlug, war er schon tot und verging im Feuer.
Die Flammen hatten einen Teil der Wand verrußt. Es war unerträglich heiß. Damian packte Lara, die noch immer auf den Boden starrte, am Arm.
»Wir müssen hier raus«, sagte er eindringlich.
»Ja«, meinte sie schlicht und wirkte ruhiger, als er erwartet hätte. »Der Bastard wollte mir schreckliche Dinge antun, ich habe es in mir gespürt. Seine Gedanken waren in mir wie verschwommene Bilder. Er dachte an eine Höhle oder Ähnliches und daran, wie er mich foltern würde.« Sie sagte es, als spräche sie von jemand anderem oder einem Film, den sie gesehen hatte. Damian wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Stand sie unter Schock? Er blickte ihr in die Augen und erkannte, dass es in Lara gerade tobte. Die Gefahr, in der sie geschwebt hatte, schien ihr bewusst gemacht zu haben, wie nahe sie am Abgrund stand. Dann blinzelte sie einmal und unheimliche Ruhe überkam sie. Akzeptierte sie diese Tatsache nun?
»Ist alles okay?«, fragte er vorsichtig.
»Ja. Lass uns gehen.«
Sie wandte sich um.
»Du bist irgendwie merkwürdig.«
»Es tut mir leid.«
Er verstand nicht. »Was tut dir leid?«
»Mein Verhalten vorhin und dass ich weggelaufen bin.«
»Ist schon in Ordnung.« Mehr fiel ihm dazu nicht ein.
»Lass uns zum Bahnsteig gehen. Der Zug müsste bald einfahren.«
Gerade als sie hinausgehen wollten, quietschte das Drehkreuz und eine Frau mittleren Alters mit einem dunkelbraunen Hosenanzug betrat den Raum. Sie war nicht besonders groß, ihr blasses Gesicht glänzte im Licht der Deckenbeleuchtung. Als sie Damian in der Damentoilette entdeckte, blieb sie überrascht stehen. Ihr Blick zuckte von Lara zu dem jungen Mann und dann wieder zurück. Dann entdeckte sie den Rußfleck auf dem Fußboden und die Brandspuren an den Wänden. Ihr Gesicht verzog sich, als sie den Gestank wahrnahm.
Damian sah, wie sie den Mund zu einem Schrei öffnen wollte. Er machte einen Satz nach vorn, legte seine Hand auf die Stirn der Frau. Sofort entspannte sich ihr Körper und die Gesichtszüge wurden weich.
»Wie ist dein Name, Schwester?«, fragte Damian leise.
Sie sah ihn mit den staunenden Augen eines Kindes an. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.
»Miriam.«
Damian sah auf die Frau hinab und flüsterte: »Du stehst in der Gnade des Herren.«
Lara beobachtete, wie sich die Frau von Damian löste, sich ohne ein weiteres Wort umwandte und aus dem Raum zurück in die Bahnhofshalle trat.
Lara und Damian blickten ihr hinterher, dann verließen sie ebenfalls den Waschraum. Nach dem Drehkreuz blieb Lara noch einmal stehen. Sie sah zurück.
»Weißt du …« Sie nickte in Richtung des großen schwarzen Flecks auf dem gekachelten Boden. »… er dachte tatsächlich daran, mich aufzufressen.«
Der Intercity nach Berlin war inzwischen eingefahren. Eine weibliche Stimme verkündete, dass der Zug in einer Minute abfahren würde. Lara und Damian
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