Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
Ras, der Inder. Er ist ein ruhiger, undurchsichtiger Bursche, wie die meisten dieser Inder. Er kommt in seinen Studien ganz gut voran, wenn auch Griechisch zu seinen schwachen Fächern zählt. Er arbeitet ausdauernd und methodisch.
Im obersten Stockwerk wohnt Miles McLaren. Das ist ein brillanter Bursche, wenn er sich dafür entschieden hat zu arbeiten – einer der hellsten Köpfe an der Universität überhaupt; aber er ist launisch und zerstreut, ihm fehlen feste Grundsätze. Wegen eines Skandals ums Kartenspiel ist er im ersten Jahr fast relegiert worden. Das ganze Semester hat er gebummelt und muß die Prüfung fürchten.«
»Dann ist er es also, den Sie verdächtigen?«
»So weit wage ich nicht zu gehen. Aber von den dreien wäre wohl er es, der für die Tat am ehesten in Betracht käme.«
»Genau. Jetzt aber, Mr. Soames, wollen wir uns Bannister, Ihren Diener, ansehen.«
Es war ein kleiner, grauhaariger Mann von fünfzig mit bleichem, glattrasiertem Gesicht. Er litt noch immer unter der plötzlichen Störung der ruhigen Routine seines Lebens. Sein rundliches Gesicht zuckte vor Nervosität, und er konnte die Finger nicht stillhalten.
»Wir untersuchen die unglückselige Angelegenheit, Bannister«, sagte sein Herr.
»Ja, Sir.«
»Ich hörte«, sagte Holmes, »Sie hatten den Schlüssel im Schloß steckenlassen?«
»Ja, Sir.«
»Ist es nicht außergewöhnlich, daß Ihnen das ausgerechnet an dem Tag passierte, als der Textabzug im Zimmer lag?«
»Das war großes Pech, Sir. Aber mir ist das auch schon einige andere Male passiert.«
»Wann haben Sie das Zimmer betreten?«
»Ungefähr um halb fünf. Zu dieser Zeit pfleg Mr. Soames seinen Tee zu nehmen.«
»Wie lange sind Sie im Zimmer geblieben?«
»Als ich bemerkte, daß er nicht da war, zog ich mich sofort zurück.«
»Haben Sie einen Blick auf die Blätter auf dem Tisch geworfen?«
»Nein, Sir, ganz gewiß nicht.«
»Wie kam es, daß Sie den Schlüssel steckenließen?«
»Ich hielt das Tablett in den Händen. Ich dachte mir, ich gehe noch einmal wegen dem Schlüssel. Aber dann habe ich es vergessen.«
»Hat die äußere Tür ein Schnappschloß?«
»Nein, Sir.«
»Dann stand sie also die ganze Zeit über offen?«
»Ja, Sir.«
»Wenn jemand im Zimmer war, konnte der also hinaus?«
»Ja, Sir.«
»Als Mr. Soames heimkam und Sie herbeirief, waren Sie da sehr erschüttert?«
»Ja, Sir. So etwas habe ich in all den Jahren, die ich hier bin, noch nicht mitgemacht. Ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, Sir.«
»Das habe ich schon gehört. Wo befanden Sie sich, als Sie merkten, daß Ihnen übel wurde?«
»Wo ich war, Sir? Na hier, nahe bei der Tür.«
»Das ist seltsam, weil Sie sich drüben in der Ecke in den Sessel setzten. Warum sind Sie an den anderen Sesseln vorübergegangen?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Mir war es egal, wo ich saß.«
»Ich glaube wirklich, er hat in dem Moment nicht viel mitbekommen, Mr. Holmes. Er sah sehr schlecht aus, totenblaß.«
»Sie blieben hier, als Ihr Herr sich entfernte?«
»Nur etwa eine Minute. Dann schloß ich die Tür ab und ging in mein Zimmer.«
»Wen verdächtigen Sie?«
»Oh, ich würde es nicht wagen. Ich glaube nicht, daß es an dieser Universität einen Gentleman gibt, der sich auf solche Weise Vorteil verschaffen würde. Nein, Sir, das glaube ich nicht.«
»Danke, das genügt wohl«, sagte Holmes. »Ach ja, noch ein Wort. Sie haben doch gegenüber den drei Gentlemen, die sie bedienen, nicht erwähnt, daß sich etwas Unangenehmes ereignet hat?«
»Nein, Sir, mit keinem Wort.«
»Haben Sie einen von ihnen gesehen?«
»Nein, Sir.«
»Es ist gut. Nun, Mr. Soames, werden wir einen Gang auf den Hof machen, wenn es Ihnen beliebt.«
In der zunehmenden Dunkelheit leuchteten über uns drei gelbe Vierecke.
Holmes blickte hinauf. »Ihre drei Vögel sind alle im Nest«, sagte er. »Aber, hallo, was ist das? Einer wirkt ziemlich ruhelos.«
Es war der Inder, dessen Silhouette plötzlich auf der Scheibe erschien. Er ging in seinem Zimmer schnell hin und her.
»Ich möchte mir gern die drei kurz ansehen«, sagte Holmes. »Wäre das möglich?«
»Das macht keine Schwierigkeit«, antwortete Soames. »Dies ist der älteste Trakt des College, und es geschieht öfter, daß man Besucher hierherführt. Kommen Sie, ich werde Sie
Weitere Kostenlose Bücher