Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
rechten Halsseite; das Messer wurde von hinten nach vorn geführt, so daß es fast unmöglich erscheint, daß Smith sich die Verletzung selber beigebracht haben könnte.«
»Es sei denn, er fiel ins Messer«, sagte Holmes.
»Genau. Dieser Gedanke ist mir auch gekommen. Aber das Messer hat einige Fuß von der Leiche entfernt gelegen, also kann man dies wohl ausschließen. Dann sind da natürlich die Worte, die der Mann im Sterben gesprochen hat. Und schließlich haben wir noch ein sehr wichtiges Beweisstück, wir fanden es in der geschlossenen rechten Hand des Toten.«
Stanley Hopkins zog ein kleines Päckchen aus der Tasche. Er wickelte es auf, und zum Vorschein kam ein goldenes Pincenez, von dem zwei abgerissene schwarze Seidenschnüre herabhingen.
»Willoughby Smith sah ausgezeichnet«, fügte er hinzu. »Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß dieser Kneifer dem Mörder von der Nase gerissen oder ihm sonstwie weggenommen wurde.«
Sherlock Holmes nahm die Brille in die Hand und untersuchte sie äußerst aufmerksam und mit größtem Interesse. Er setzte sie sich auf die Nase, versuchte durch sie zu lesen, ging zum Fenster und sah durch sie auf die Straße, hielt sie unter das volle Licht der Lampe; er prüfte sie genauestens und trat schließlich kichernd an den Tisch und schrieb einige Zeilen auf ein Blatt Papier, das er dann Stanley Hopkins hinschob.
»Das, ist das Beste, was ich für Sie tun kann«, sagte er. »Vielleicht erweist es sich als wertvoll.«
Der verblüffte Detektiv las den folgenden Text laut vor:
»Gesucht wird eine Frau von guter Lebensart, die sich wie eine Lady kleidet. Ihre Nase ist bemerkenswert dick, und die Augen stehen eng an der Nasenwurzel. Sie hat eine faltige Stirn, einen spähenden Gesichtsausdruck und wahrscheinlich einen runden Rücken. Vermutlich hat sie in den letzten Monaten wenigstens zweimal den Optiker aufgesucht. Da ihre Gläser bemerkenswert stark sind und es nicht allzu viele Optiker gibt, sollte es nicht schwierig sein, sie ausfindig zu machen.«
Holmes lächelte über Hopkins’ Staunen; aber wohl auch ich muß konsterniert ausgesehen haben.
»Meine Schlüsse sind die Einfachheit selber«, sagte er. »Es wäre schwierig, einen Gegenstand zu nennen, mit dem man sich ebensogut beschäftigen kann wie mit einer Brille, besonders, wenn es sich um ein so bemerkenswertes Exemplar handelt. Daß sie einer Frau gehört, folgere ich aus ihrer Zierlichkeit und natürlich auch aus den letzten Worten des sterbenden Mannes. Was die Frau angeht, daß es sich um eine gutgekleidete Person von guter Lebensart handle, so spricht dafür die solide Goldfassung des Kneifers; seine Besitzerin kann auch in anderer Beziehung nicht schlampig sein. Sie werden die Klemme für Ihre Nase zu weit finden, und das deutet darauf hin, daß die Nase der Dame an der Wurzel sehr breit ist. Solche Nasen sind für gewöhnlich kurz und plump, jedoch gibt es viele Ausnahmen von dieser Regel, was mich davor bewahrt, dogmatisch auf diesem Punkt meiner Beschreibung zu bestehen. Mein eigenes Gesicht ist schmal, und doch gelingt es mir nicht, die Augen ins Zentrum oder nahezu ans Zentrum dieser Brille zu bringen. Deshalb müssen die Augen der Dame nahe an der Nase stehen. Sie werden bemerken, Watson, daß die Gläser konkav und sehr stark sind. Eine Dame, deren Sehvermögen derart gemindert ist, muß auch die körperlichen Charakteristika einer solchen Minderung aufweisen, wie sie sich an Stirn, Lidern und Rükken zeigen.«
»Ja«, sagte ich, »ich kann Ihnen in allem folgen. Nur gestehe ich, daß mir nicht klar ist, wie Sie auf den zweimaligen Besuch beim Optiker kommen.«
Holmes nahm die Brille in die Hand.
»Sie sehen«, sagte er, »hier an der Klemme die kleinen Korkplättchen, die den Druck auf die Nase mildern sollen. Nun ist das eine Plättchen verfärbt und ein wenig abgenutzt, das andere aber neu. Offensichtlich war eines abgefallen und wurde ersetzt. Das ältere Plättchen, schätze ich, ist nicht älter als einige Monate. Da nun die Plättchen einander völlig entsprechen, schließe ich, daß die Dame zum selben Optiker ging, um das verlorengegangene ersetzen zu lassen.«
»Beim Himmel, erstaunlich!« rief Hopkins in einem Ausbruch von Bewunderung. »Wenn ich daran denke, daß ich die ganze Zeit das Beweismaterial in Händen hatte und auch wußte… Allerdings war es sowieso meine Absicht, die Londoner Optiker
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