Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
nicht?«
»Er ist ein naher Freund.«
»Wissen Sie, daß er verschwunden ist?«
»Wirklich!« In dem schroffen Gesicht des Doktors änderte sich kein Zug.
»Gestern abend hat er sein Hotel verlassen. Seitdem weiß man nichts mehr von ihm.«
»Er wird schon wieder zurückkommen.«
»Morgen früh findet das Match der Uni statt.«
»Ich habe für diese kindischen Spiele nichts übrig. Das Schicksal des jungen Mannes interessiert mich, seit ich ihn kenne und schätze. Das RugbyMatch kommt überhaupt nicht in meinen Gesichtskreis.«
»Dann bitte ich um Sympathie für meine Nachforschungen zum Schicksal von Mr. Staunton. Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
»Nein.«
»Sie haben, ihn gestern oder heute nicht gesehen?«
»Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«
»Ist Mr. Staunton gesund?«
»Absolut.«
»Wissen Sie, ob er jemals krank war?«
»Er ist nie krank gewesen.«
Holmes hielt dem Doktor plötzlich ein Blatt Papier vor die Augen.
»Dann erklären Sie mir diese Empfangsbestätigung über dreizehn Guineas, gezahlt im letzten Monat von Mr. Godfrey Staunton an Dr. Leslie Armstrong, Cambridge. Ich fand sie unter Papieren auf seinem Tisch.«
Der Doktor wurde rot vor Ärger.
»Ich sehe keinen Grund, Mr. Holmes, warum ich Ihnen eine Erklärung geben sollte.«
Holmes steckte die Quittung in seine Brieftasche zurück.
»Wenn Sie eine öffentliche Erklärung bevorzugen: sie wird früher oder später erfolgen müssen«, sagte er. »Ich habe Ihnen schon auseinandergesetzt, daß ich Dinge vertuschen kann, die andere zu veröffentlichen entschlossen sind, und es wäre wirklich weiser, wenn Sie mich völlig in Ihr Vertrauen zögen.«
»Ich weiß nichts von der Sache.«
»Haben Sie von Mr. Staunton aus London gehört?«
»Gewiß nicht.«
»Du liebes Bißchen, du liebes Bißchen! Schon wieder das Postamt!« Holmes seufzte bekümmert. »Aus London ist an Sie von Mr. Godfrey Staunton gestern um sechs Uhr fünfzehn ein dringendes Telegramm abgeschickt worden – ein Telegramm, das zweifellos mit seinem Verschwinden zusammenhängt –, doch Sie haben es nicht bekommen. Das ist höchst tadelnswert. Ich werde heute bestimmt noch zum hiesigen Postamt gehen und eine Beschwerde einreichen.«
Dr. Leslie Armstrong sprang von seinem Platz hinter dem Tisch auf, sein dunkles Gesicht war hochrot vor Wut.
»Bemühen Sie sich aus meinem Haus, Sir«, sagte er, »Sie können Ihrem Auftraggeber, Lord Mount-James, ausrichten, daß ich nichts mit ihm und seinen Agenten zu tun haben will. Nein, Sir, kein weiteres Wort mehr!« Er läutete wild. »John, begleiten Sie diese Gentlemen hinaus.«
Ein wichtigtuerischer Butler führte uns mit strenger Miene zur Tür, und dann standen wir auf der Straße.
Holmes brach in Lachen aus.
»Dr. Leslie Armstrong ist auf jeden Fall ein energischer Charakter«, sagte er. »Seit der berühmte Moriarty tot ist, habe ich keinen Mann kennengelernt, der mehr geeignet wäre, die Lücke zu füllen; er müßte nur seine Talente in der Richtung entwickeln. Und wir, mein armer Watson, stehen jetzt gestrandet und ohne Freunde in dieser ungastlichen Stadt, die wir nicht verlassen können, es sei denn, wir geben unseren Fall auf. Dieses kleine Wirtshaus hier gegenüber dem Domizil von Dr. Armstrong eignet sich hervorragend für unsere Bedürfnisse. Wenn Sie ein Vorderzimmer mieten und besorgen würden, was für die Nacht gebraucht wird, könnte ich noch ein paar Nachforschungen anstellen.«
Die paar Nachforschungen erwiesen sich als langwieriger, als es sich Holmes vorgestellt hatte, denn er kehrte nicht früher als kurz vor neun Uhr in das Wirtshaus zurück. Er war blaß und niedergeschlagen, staubbedeckt, erschöpft und hungrig von den Anstrengungen. Auf dem Tisch stand ein kaltes Abendbrot, und erst, als seine Bedürfnisse befriedigt waren und die Pfeife brannte, zeigte er sich bereit, die Dinge unter dem halb komischen und ganz philosophischen Blickwinkel zu sehen wie immer, wenn eine Affäre nicht richtig lief. Das Geräusch von Kutschenrädern brachte ihn auf die Füße und ans Fenster. Ein Brougham mit einem Paar Grauschimmeln stand im Glanz der Gaslampe vor der Tür des Doktors.
»Der Wagen war drei Stunden unterwegs«, sagte Holmes. »Abgefahren um halb sieben, und jetzt ist er zurück. Das läßt auf einen Radius von zehn oder zwölf Meilen schließen. Die Tour fährt er einmal,
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