Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
augenscheinlich ein Schurke ist.«
»Oh, er hat Sie in der Hinsicht wohl beeindruckt. Die Pferde, die Schmiede – ja, es ist schon ein interessantes Anwesen, dieser ›Kampfhahn‹. Ich denke, wir werfen noch einmal einen Blick hinein, ganz unaufdringlich.«
Hinter uns erhob sich eine lange Hügelkette, übersät mit grauen Kalksteinblöcken. Wir verließen die Straße und stiegen bergauf. Als ich in Richtung Holdernesse Hall blickte, sah ich einen Radfahrer schnell herankommen.
»Runter, Watson!« rief Holmes und legte mir schwer die Hand auf die Schulter. Wir waren kaum aus dem Blickfeld, als der Mann auf der Landstraße an uns vorüberraste. Trotz der Staubwolke, die er aufwirbelte, erhaschte ich einen Blick auf ein bleiches, aufgeregtes Gesicht – ein Gesicht, wo in jeder Falte der Schrecken saß, mit offenem Mund und mit Augen, die wild nach vorn starrten. Der Mann sah aus wie eine Karikatur auf den schmucken James Wilder, dem wir am voraufgegangenen Abend begegnet waren.
»Der Sekretär des Duke!« rief Holmes. »Los, Watson, wir wollen sehen, was er tut.«
Wir kraxelten von Felsblock zu Felsblock, bis wir nach einigen Minuten einen Punkt erreicht hatten, von dem aus wir die Vordertür des Wirtshauses erblickten. Neben der Tür lehnte Wilders Fahrrad an der Mauer. Um das Haus herum bewegte sich nichts, und wir sahen auch kein Gesicht an den Fenstern. Die Sonne sank hinter den hohen Türmen von Holdernesse Hall, und langsam kroch die Dämmerung übers Land. Dann sahen wir in der Dunkelheit die zwei Seitenlampen eines Trap im Stallhof des Wirtshauses aufleuchten, und kurz danach hörten wir Hufgetrappel; der Wagen rollte auf die Landstraße und fuhr mit wilder Geschwindigkeit in Richtung Chesterfield davon.
»Was halten Sie davon, Watson?« flüsterte Holmes.
»Scheint Flucht zu sein.«
»Ein einzelner Mann in einem Dogcart, wenn ich es richtig beobachtet habe. Nun, es war aber bestimmt nicht Mr. James Wilder, denn der steht da bei der Tür.«
Aus der Dunkelheit sprang ein Viereck rötlichen Lichts. In dessen Mitte sahen wir schwarz die Gestalt des Sekretärs, wie er, den Kopf vorgereckt, in die Nacht hinaus spähte. Offensichtlich erwartete er jemanden. Dann hörten wir Schritte auf der Landstraße, eine zweite Gestalt war für einen Augenblick gegen das Licht zu sehen, die Tür wurde geschlossen, und alles war wieder dunkel. Fünf Minuten später wurde in einem Zimmer der ersten Etage eine Lampe angezündet.
»Im ›Kampfhahn‹ scheinen seltsame Sitten zu herrschen«, sagte Holmes.
»Der Schankraum befindet sich auf der anderen Seite.«
»So ist es. Das scheinen sozusagen private Gäste zu sein. Nun, was um alles in der Welt sucht Mr. James Wilder um die Zeit in der Dreckbude, und wer ist der Mann, mit dem er sich dort trifft? Kommen Sie, Watson, wir müssen die Gefahr auf uns nehmen und versuchen, unsere Nachforschungen aus kürzester Entfernung fortzusetzen.«
Gemeinsam schlichen wir uns auf die Landstraße hinunter und liefen geduckt zur Tür des Gasthofs. Das Fahrrad lehnte noch an der Mauer. Holmes riß ein Streichholz an und hielt die Flamme gegen das Hinterrad. Und dann hörte ich ihn stillvergnügt vor sich hin lachen: das Licht fiel auf einen geflickten Dunlop-Reifen. Über uns befand sich das erleuchtete Fenster.
»Ich muß einen Blick hineinwerfen, Watson. Wenn Sie sich bücken und sich gegen die Mauer stemmen, dann, glaube ich, wird es gehen.«
Einen Augenblick später stand er mit den Füßen auf meiner Schulter. Aber kaum war er oben, sprang er auch schon wieder herunter.
»Kommen Sie, mein Freund«, sagte er, »unser Tag war lang genug. Ich denke, wir haben alles erfahren, was möglich war. Der Weg zur Schule ist lang, und je eher wir ihn antreten, um so besser ist es.«
Während unserer beschwerlichen Wanderung durch das Moor tat er kaum einmal den Mund auf. Er wollte auch nicht in die Schule hinein, als wir sie erreicht hatten, sondern ging weiter zum Bahnhof von Mackleton, wo er einige Telegramme aufgeben konnte. Spät in der Nacht hörte ich, wie er den vom Tod seines Lehrers niedergeschlagenen Dr. Huxtable tröstete, und noch später betrat er mein Zimmer, so munter und kräftig, wie er am Morgen gewesen war, als wir aufbrachen.
»Alles läuft gut, mein Freund«, sagte er. »Ich verspreche Ihnen, daß wir vor morgen abend das Geheimnis gelöst haben werden.«
Am folgenden Morgen um elf Uhr
Weitere Kostenlose Bücher