Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
Gesicht war von tiefen Linien durchfurcht. In der Hand hielt er etwas, das wie ein Stock aussah, das aber, als er es auf den Boden legte, ein metallisches Geräusch verursachte. Er zog einen großen Gegenstand aus der Manteltasche und machte sich damit zu schaffen, bis es ein lautes, scharfes Klicken gab, so, als sei eine Feder oder ein Bolzen eingerastet. Er kniete auf dem Boden, beugte sich vornüber und legte sein ganzes Gewicht auf irgendeinen Hebel, mit dem Ergebnis, daß ein langgezogenes, drehendes und mahlendes Geräusch zustande kam, das ebenfalls mit einem kräftigen Klicken endete. Danach richtete er sich auf, und ich sah, daß er eine Art Gewehr mit einem seltsam ungestalten Kolben in der Hand hielt. Er öffnete das Schloß, schob etwas hinein und ließ es zuschnappen. Dann kniete er sich wieder hin und legte das Ende des Laufs auf die Fensterbank; sein langer Schnurrbart fiel über den Schaft, als er zielte, und ich sah sein Auge glänzen. Ich hörte einen leisen Seufzer der Erleichterung, als er den Kolben in die Schulter gepaßt hatte und sein sonderbares Ziel, den schwarzen Mann auf gelbem Grund, klar abgezeichnet vor dem Korn des Gewehres stand. Für einige Sekunden blieb er regungslos, wie erstarrt. Dann schloß sich der Finger um den Abzug. Es folgten ein eigenartiges lautes Sirren und das silberne Klirren von zerbrechendem Glas. In dem Augenblick sprang Holmes wie ein Tiger auf den Schützen und schleuderte ihn flach aufs Gesicht. In der nächsten Sekunde hatte der Mann sich befreit und packte Holmes mit der Kraft der Verzweiflung an der Kehle; aber ich schlug ihm mit dem Revolvergriff auf den Kopf, und er fiel wieder zu Boden. Ich stürzte mich über ihn, und während ich ihn hielt, ließ mein Freund einen schrillen Pfiff aus einer Trillerpfeife ertönen. Wir hörten das Trappeln von Füßen auf dem Pflaster, und zwei uniformierte Polizisten und ein Detektiv in Zivil stürzten durch den Vordereingang und ins Zimmer.
»Sind Sie es, Lestrade?« fragte Holmes.
»Ja, Mr. Holmes. Ich habe die Sache selber in die Hand genommen. Schön, Sie wieder in London zu sehen, Sir.«
»Ich nahm an, Sie brauchen ein bißchen private Hilfe. Drei unaufgeklärte Morde in einem Jahr sind genug, Lestrade. Aber im Molesey-Fall haben Sie ja weniger… Ich meine, den haben Sie ganz gut angepackt.«
Wir standen alle wieder auf den Füßen, unser Gefangener, zwischen zwei kräftigen Konstablern, atmete schwer. Auf der Straße sammelten sich schon die ersten Neugierigen. Holmes trat zum Fenster, schloß es und ließ die Jalousie herunter. Lestrade holte zwei Kerzen aus der Tasche, und die Polizisten blendeten ihre Laternen auf, so daß ich schließlich unseren Gefangenen genau betrachten konnte.
Das Gesicht, das sich uns zuwandte, war ungewöhnlich, auf eine unheilverheißende Weise männlich. Der Mann, mit seiner sinnlichen Kinnpartie und der Stirn eines Philosophen, mußte einmal mit großen Fähigkeiten, zum Guten oder zum Bösen, ausgestattet gewesen sein. Aber man sah seine grausamen blauen Augen mit den zynisch herabgezogenen Lidern, seine auf Leidenschaft und Angriffslust deutende Nase, die drohende tiefgefurchte Stirn und konnte die einfachsten Warnsignale der Natur nicht verkennen. Er nahm von niemandem Notiz, außer von Holmes, den er mit einem Ausdruck anstarrte, in dem Haß und Erstaunen sich zu gleichen Teilen mischten.
»Sie Teufel!« murmelte er immer wieder. »Sie schlauer, schlauer Teufel!«
»Sie wissen doch, Colonel«, sagte Holmes, während er seinen verrutschten Kragen geraderückte, »›am End’ der Reise treffen sich die Liebenden‹, wie es in dem alten Stück heißt. Ich glaube, ich hatte nicht mehr das Vergnügen, Sie zu treffen, seit Sie mich mit Aufmerksamkeiten bedachten, als ich in der Wand über dem Reichenbach-Fall hing.«
Der Colonel starrte unverwandt auf meinen Freund, wie ein Mensch in Trance. »Sie listiger Teufel!« war alles, was er herausbrachte.
»Ich habe Sie noch nicht vorgestellt«, sagte Holmes. »Dieser Gentleman ist Colonel Sebastian Moran, früher in Ihrer Majestät Indischer Armee und der beste Gewehrschütze, den unser Eastern Empire hervorgebracht hat. Habe ich recht, wenn ich sage, daß Ihre Ausbeute an erlegten Tigern bis heute unübertroffen ist?«
Der wütende alte Mann sagte nichts, sondern starrte nur meinen Freund an; mit seinen wilden Augen und dem borstigen Schnauzbart sah er erstaunlicherweise selber wie ein Tiger
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